Ende II

Wiechert im KZ



 Die Wandlung des Dichters

Still ist es in den vergangenen 40 Jahren um Ernst Wiechert geworden. Dichterlesungen finden nur selten statt, und in öffentlichen Bibliotheken sind nur seine wichtigsten Bücher erhältlich. Aber der 1950 verstorbene Dichter, der ab 1933 in Ambach und später auf dem von ihm erbauten Gagert-Hof an der Münsinger Straße oberhalb des Markts Wolfratshausen lebte, gerät immer mehr in Vergessenheit.

In den Jahren vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme und in der stürmischen Zeit nach dem Ende des Kriegs war das anders. Diese beide Epochen geben Zeugnis von den zwei Gesichtern des ostpreußischen Dichters, den ein Streit mit Joseph Goebbels weltweit berühmt werden ließ.

Vor allem die Kulturkritik der Siegermächte verhalf Wiechert, der zwei Monate im KZ Buchenwald inhaftiert war, zu großem Ruhm. Der Dichter der "inneren Emigration" galt nach Kriegsende nicht nur in Amerika als Sprachrohr des "anderen Deutschlands" - jenes Deutschlands, das mit den Nationalsozialisten nichts am Hut hatte.

Gerecht wird dieses Bild Ernst Wiechert sicher nicht. Er war nie aktiv im Widerstand gegen die Nazis, im Gegenteil, er war trotz persönlicher Widersprüche bis zum Schluß ein Nutznießer des Systems. Es garantierte ihm Wohlstand - um den Preis, den Mund zu halten.


Ernst Wiechert, 1928



Deutschnational und antisemitisch

Wiechert, Jahrgang 1887, war Soldat im Ersten Weltkrieg. Die Scheußlichkeiten an der Front, die ständige Konfrontation
mit Tod und Verderbnis, prägen den junge Lehrer. Seine politische Gesinnung als Bürger der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, ist antidemokratisch und deutschnational. Obendrein ist er ein Anhänger der Rassenlehre und ein Antisemit, wie sein Biograf, der in Paris lehrende Germanist Guido Reiner nachweist.

Wiecherts erstes viel beachtetes literarisches Werk ist der 1923 veröffentlichte "Totenwolf" - es verherrlicht die auch von den Nationalsozialisten propagierten germanischen Kampf- und Rassenideale. Auf dem Schutzumschlag der Erstausgabe ist ein Hakenkreuz zu sehen. Vorabdrucke in Zeitungen erlaubt der zu der Zeit in Berlin lebende Dichter nur nicht-jüdischen Verlagen.



Das Recht der Besitzenden


Ende der 20er Jahre, vielleicht auch erst Anfang der 30er Jahre, geht Wiechert, Mitglied einiger völkischer Literaturvereinigungen, dann doch auf Distanz zu den Nationalsozialisten - politisch gesehen. Guido Reiner schreibt über diese Zeit:

"Wenn nun auch Ernst Wiecherts politische Einstellung eine tiefgreifende Wandlung erfahren hat, so lassen sich sozialdemokratische Tendenzen wohl kaum aus seinem Werk herauslesen. In all seinen Romanen und Erzählungen spielt der deutsche Adel im Osten die Rolle einer konservativen, alte Sitten und Bräuche weiterreichenden Kraft des Beschützenden. Edle Gesinnung und Aufgeschlossenheit für das Gemeinwohl vervollständigen dieses Idealbild." Wiechert, der völkische, großdeutsche Dichter.




Auf Du und Du mit Waldemar Bonsels

Als Wiechert 1933, nach seiner selbst veranlaßten Entlassung aus dem Schuldienst, in den Bezirk Wolfratshausen kommt,
ist er bereits ein bekannter Dichter. Er hat für seine Romane mehrere Literaturpreise bekommen. Er ist finanziell gut bestallt.

Die erste Station ist Ambach, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Paula das Waldschlössl neben dem Sanatorium Wiedemann bezieht. Gut Freund wird er hier mit dem Dichterkollegen Waldemar Bonsels, dem Schöpfer der "Biene Maja", mit dem er ausgedehnte Spaziergänge unternimmt. 1936 bezieht Wiechert ein eigenes Haus, den Gagert-Hof,
oberhalb Wolfratshausens an der (alten) Straße nach Münsing.

Zu diesem Zeitpunkt ist er schon auf Distanz zur herrschenden NSDAP gegangen. Bei zwei Reden vor Münchner  Studenten, 1933 und vor allem 1935, wird seine Opposition zu den braunen Machthabern deutlich.

Der als elitär und schwierig geltenden Dichter, für den die Freiheit des Individuums inneres Anliegen ist, empfindet die völkische Ideologie wegen ihrer Gleichmacherei als Gräuel.


Ernst Wiechert (re.) empfing auf dem Gagert-Hof prominente Besucher:
Die Grafikerin Käthe Kollwitz und Luftfahrt-Pionier Hugo Eckener (li.).





Auslandsreisen werden verboten

Die NSDAP reagiert darauf. Wiechert wird unter Beobachtung gestellt, eine Auslandsreise in die Schweiz untersagt. Eine öffentliche Lesung1937 zum Thema "Recht und Gewalt" behindern bestellte Störer.

Zum endgültigen Bruch mit dem System kommt es, als er im Dezember 1937 an Reichspropagandaminister Goebbels einen Brief schreibt, Zitat: "Ich bin überzeugt, daß der einfachste Hütejunge aus meiner Heimat mehr Takt und Kultur gezeigt haben würde als die Beamten der höheren Kulturbehörde des Dritten Reiches."

Zwei Monate später legt Ernst Wiechert öffentlich Protest ein gegen die Verhaftung von Pfarrer Martin Niemöller, Mitbegründer der als staatsfeindlich angesehenen "Bekennenden Kirche". Und als der Dichter im Frühjahr 1938 seine Ja-Stimme zum "Volksentscheid" über den Anschluß Österreichs verweigert und die Sammler vom Winterhilfswerk an der Tür abweist, greift die Geheime Staatspolizei (Gestapo) zu.




Im KZ Buchenwald

Am 6. Mai 1938 wird Wiechert ins Polizeigefängnis nach München gebracht, von wo man ihn am 2. Juli ins KZ Buchenwald überführt. Die Maßnahme bleibt freilich umstritten: Freunde und Anhänger seiner Dichtkunst setzen sich für ihn ein. Dazu gehört auch der Reichsinnenminister Frick, der Wiechert persönlich gekannt haben mag, da er nahe Hechenberg ein Haus (den "Bergerhof", heute im Eigentum des Zeitungsunternehmers Dirk Ippen) besitzt. Am 30. August 1938 wird Wiechert aus der Haft wieder entlassen.

Es kommt zu einer persönlichen Begegnung mit Goebbels, über deren Inhalt nichts überliefert ist. Immerhin wird Wiechert danach auch wieder gnadenhalber in die Reichs-Schriftstellervereinigung aufgenommen.

[Einschub: Offenbar hat sich jedoch Goebbels selbst kurz zu dieser (?) Begegnung in seinen Tagebüchern geäußert. Zitat 30. August 1938: "Ich lasse mir den Schriftsteller Wiechert aus dem K.Z. vorführen und halte ihm eine Philippica die sich gewaschen hat. Ich dulde auf dem von mir betreuten Gebiet keine Bekenntnisfront. Ich bin in bester Form und steche ihn geistig ab. Eine letzte Warnung! Darüber lasse ich auch keinen Zweifel. Der Delinquent ist am Schluß ganz klein und erklärt, seine Haft habe ihn zum Nachdenken und zur Erkenntnis gebracht. Das ist sehr gut so.
Hinter einem neuen Vergehen steht nur die physische Vernichtung. Das wissen wir nun beide." *
Dank an Klara Deecke für diesen Hinweis, 19.08.07]

Allen Vergünstigungen im Gefängnis zum Trotz - Wiechert wurde von der Familie besucht und durfte Bücher lesen - hat der Dichter die knapp viermonatige Haft schlecht überstanden. Er ist krank und, wie's heißt, "seelisch gebrochen".


Ernst Wiecherts Zuhause, der Gagert-Hof.




Jahreseinkommen 100000 Reichsmark

Aber Wiechert erfährt nun die Unterstützung der Parteioberen. Er darf schreiben und fast alle seiner bereits erschienen Werke, vor allem die völkischen "Bestseller", werden weiterhin gedruckt und verbreitet. Finanziell geht es im auf dem Gagert-Hof glänzend: 1939 und 1940 verfügt er über ein Einkommen von jeweils um die 100.000 Reichsmark - "ungefähr das Zehnfache eines Diplom-Ingenieurs in leitender Stellung" (Guido Reiner).

Erst nach Kriegsende tritt Ernst Wiechert aber wieder öffentlich auf. Er veröffentlicht  "Der Totenwald", in dem er seine Erlebnisse im KZ erzählt, und - kurz vor seinem Tod - den Kriegsheimkehrer-Roman "Missa sine nomine". Wiecherts letzter Versuch, in einem Sanatorium in der Schweiz von seinen aus der Haftzeit gebliebenen körperlichen Leiden geheilt zu werden, scheitert allerdings: Der Dichter stirbt am 24. August 1950 im Alter von nur 63 Jahren in Uerikon.

Seine Witwe Paula lebt bis zu ihrem Tod 1972 auf dem Gagert-Hof. Sie wird in Degerndorf beigesetzt. Die dortigen Kirchenglocken waren von Ernst Wiechert nach Kriegsende gestiftet worden.

[ *  "Die Tagebücher von Joseph Goebbels", Herausgegeben von Elke Fröhlich, Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, Teil 1/Band 6, August 1938 - Juni 1939, K. G. Saur Verlag, München, 1998; im Internet unter:
Leonore Krenzlin: "Nach dem Scheiterhaufen. Reaktionen von Schriftstellern im deutschen Reich."
http://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/brennende_buecher.pdf
]





Mangelware Bier




 Aus Krieg spielen wird blutiger Ernst

"He, Burger, aufstehn. Einrückn muaßt." Es ist 4 Uhr früh, ein Tag im August 1939. Unsanft wird der Dorfener Landwirt Ludwig Burger aus den Federn geholt. Der Einberufungsbefehl ist da. Burger muß sofort nach Bad Tölz fahren und sich im Kolberbräu melden.

Wenige Tage später, am 1. September, wird aus dem Krieg spielen blutiger Ernst. Ludwig Burger gehört zu den ersten jungen Männern aus dem Wolfratshauser Bezirk, die zum Polen-Feldzug einrücken müssen. Sechs Jahre Fronteinsatz stehen vor ihm. Er hat Glück: Er überlebt.

Kein Glück hat Kajetan Schmiedecker, Melker aus Höfen bei Königsdorf. Er stirbt bereits am 8. September 1939 -
acht Tage nach Beginn des Krieges - bei Wegierski in Polen.

Kein Glück hat auch Rudolf Pflügler, landwirtschaftlicher Arbeiter aus Wolfratshausen. Er ist 23 Jahre alt, als er nahe dem galizischen Dukla fällt. Schmiedecker und er sind die beiden ersten Soldaten des Bezirks Wolfratshausen, die den "Heldentod fürs Vaterland" sterben.

Der Krieg, so fern die Front auch ist, ist in Wolfratshausen stets gegenwärtig: Davon zeugen die ungezählten Gefallenen-Ehrungen und Kondolenzanzeigen, die im "Wolfratshauser Tagblatt" veröffentlicht werden.


In Wolfratshausen erfolgte die Musterung,  in Tölz wurden die Rekruten eingezogen. 

  


Die ersten Rekruten rücken ein

Vier Jahre lang dauern im Deutschen Reich die Kriegsvorbereitungen: Im März 1935 führt Adolf Hitler die allgemeine Wehrpflicht wieder ein - ein klarer Bruch des Versailler Vertrags. Bereits am 29. Oktober rücken auch die ersten Rekruten aus dem Bezirk Wolfratshausen in die Kasernen ein. Gemustert werden die jungen Männer in der Landwirtschaftsschule am Untermarkt (heute: Heimatmuseum).

Am 13. Mai 1936 findet in Erwartung späterer Luftangriffe in Wolfratshausen die erste Verdunkelungsübung statt. Das "Wolfratshauser Tagblatt": "Während sonst mit Eintritt der Dunkelheit der Schein häuslicher Beleuchtung menschliche Siedlungen ankündigt, war am Mittwoch abend der ganze Bezirk in völlige Dunkelheit gehüllt.

Die erste große Verdunkelungsübung hatte abends 8 Uhr ihren Anfang genommen und in ihrem Verlauf gezeigt, daß es mit der Gemütlichkeit zu Ende ist, wenn einmal der Ernstfall eintreten sollte." Übungen wie diese finden von nun an regelmäßig statt.

Dem Luftschutz im kommenden Krieg dienen auch staatlich verordnete "Entrümpelungsaktionen". Der Grund ist laut "Wolfratshauser Tagblatt" (28. August 1937):

"Dinge, die in Brand gefährdeten Gebäudeteilen unbeachtet schlummern, bedeuten für das ganze Haus und die Nachbarschaft eine ständige Feuergefahr, die sich bei Luftangriffen mittels Brandbomben katastrophal auswirken müssen."


Verdunkelung als Bürgerpflicht.




"Je mehr Verwundete desto pfundiger"

Auch an den Schulen werden für die siebten und achten Klassen Luftschutz-Kurse gegeben. Das "Tagblatt": "Es waren Kurse voller Begeisterung und Disziplin. Ob es in den Gasraum ging, ob man dem brennenden Mann zu Leibe rückte (...), alle wollten vorne dran sein. Die Mädel aber verlegten sich doch mit Vorliebe aufs Verbinden. Je mehr Verwundete, desto pfundiger war's."

Von 10. bis 19. März 1937 registriert die Wehrmacht alle bäuerlichen Pferde, Maultiere und Esel "ohne Altersgrenze nach oben" ("Tagblatt") in einer "Vormusterung": "Alle Tiere sind sauber beschlagen und mit einem brauchbaren Fahrgeschirr, soweit Reitausrüstung vorhanden ist, mit dieser, vorzuführen."

Alljährlich wird der Pferdebestand neu überprüft. Wie nah der Krieg schon ist, belegt eine Zeitungsmeldung vom 1. Juni 1939: Für 5 Reichsmark werden Volks-Gasmasken angeboten. "Sie bietet einen persönlichen Schutz und macht in mancher Hinsicht unabhängig von Luftschutzkeller."




Kriegszeit ist Mangelzeit

Aber die Kriegszeit ist vor allem Mangelzeit. Drei Tage vor Beginn des Einmarsches in Polen wird auch in Wolfratshausen die Bezugsscheinpflicht für alle wichtigen Gebrauchsgüter, für Lebensmittel, Seife und Kohle, eingeführt.

"Bei unseren Hausfrauen verursachte diese ungewohnte Maßnahme einige Änderungen im Tagesablauf. Es muss betont werden, dass überall im Isartal musterhafte Ruhe und Ordnung herrscht."

Auch der Verkehr ist eingeschränkt: Die Isartalbahn fährt täglich nur noch zweimal nach München.

Zum 1. Dezember '39 wird zudem noch die Reichskleiderkarte eingeführt. Laut "Tagblatt" ist sie eine "Verbesserung". Weitere Folgen der Zwangsbewirtschaftung sind die Reichsbrotkarte, die Fettkarte, die Milchkarte. Dazu gibt's Bezugsscheine für Marmelade, Zucker, Eier und vieles andere. Wer verreist, bekommt eigene Karten. Auch Benzin und Treibstoff sind rationiert.

Verwaltet wird der Mangel von zwei Behörden, dem Ernährungsamt und dem Wirtschaftsamt (für Baustoffe, Kleidung, Reifen und anderes). Behelfsmäßig sind sie zuerst in der Landwirtschaftsschule am Untermarkt untergebracht, später dann im Gebäude der NSDAP-Kreisleitung an der Sauerlacher Straße (gegenüber Foto-Knödler, d. Autor).




"Nr. 4" schmeckt nach Krieg"

Je länger der Krieg dauert, umso größer ist der Mangel. Die Gastwirtschaften in Wolfratshausen haben ab 1941 mindestens einen Tag in der Woche geschlossen.  Fleisch ist ohnehin Mangelware, aber nun wird selbst Bier kontingentiert. Das "Tagblatt" am 7. Mai 1941: "Es ist noch niemand gestorben, wenn er ein paar Halbe weniger gehoben hat."

Auch die Raucher müssen sich einschränken: Die Monatsration Zigaretten reicht höchstens ein paar Tage. Man geht dazu über, selber Tabak anzubauen. Die "Sondermischung Nr. 4" schmeckt nach Krieg und riecht nach Krieg.




Der Milli-Messer kontrolliert

Heute ist's der Butterberg, der Probleme bereitet - vor 55 Jahren war's die Fettlücke: Zur Steigerung der Fettproduktion werden ab 1939 alle bäuerlichen Betriebe regelmäßig überprüft. Das für Wolfratshausen zuständige Tierzuchtamt Miesbach stellt für jede Milchkuh ein Kontrollblatt aus. Der "Milli-Messer", so heißt im Volksmund der staatliche Kontrolleur, ist natürlich alles andere als beliebt. Er legt genau fest, welchen Anteil aus der Nahrungsmittelproduktion die Landwirte für den eigenen Bedarf behalten dürfen.

Wo heute fast ausschließlich Weidewirtschaft betrieben wird, bauten die Bauern in den Kriegsjahren auch Getreide, Kartoffeln, Raps und Flachs an. Zentral verarbeitet wird der Flachs in der Falak in Bichl. Die Ortsbauernführer sind zuständig dafür, dass genügend Schlachtvieh für den Bedarf der Wehrmacht abgeliefert wird. Viehzählungen sollen Schwarzschlachtungen verhindern.

Von den etwa 25000 Menschen im Bezirk Wolfratshausen sind knapp ein Viertel Selbstversorger. Das "Wolfratshauser Tagblatt" listet kurz vor Weihnachten 1939 den monatlichen Bedarf im Bezirk auf:

"160.000 Kilo Brot, 12.000 Kilo Mehl, 45.000 Kilo Fleisch, 12.500 Kilo Butter, 6000 Kilo Margarine, 51.000 Liter Vollmilch und zwar 47.000 Liter für Kinder und 3000 Liter für werdende Mütter." Aufgeführt werden ferner: "600 Kilo Kunsthonig, ebenso viel Kakao, 15.000 Kilo Käse und Quark. Enorm ist auch der Verbrauch an Zucker mit rund 30.000 Kilo, dafür Nährmittel und Teigwaren nur 15.000 Kilo. Benötigt werden Kaffee-Ersatz- oder -Zusatzmittel rund 10.000 Kilo."


Ein katastrophales Hochwasser macht den Wolfratshausern 1940 noch zusätzlich zu schaffen.




Unwetterkastrophen im Kriegsjahr

Nicht allein der Krieg und die damit verbundene Not machen den Wolfratshausern 1940 schwer zu schaffen,
sondern auch die Unbill des Wetters. Schwere Regenfälle in den letzten Maitagen lassen die Loisach über die Ufer treten.
Der Damm oberhalb des Marktes wird unterspült und bricht, im loisachnahen Weidach steht das Wasser ein bis zwei Meter hoch.

Der Hang an der Schlederleiten kommt an fünf Stellen ins Rutschen. Der Bahnbetrieb ist wochenlang unterbrochen. Französische Kriegsgefangene müssen die Bahnlinie reparieren.

Am 23. August 1941 bricht ein verheerendes Hagelwetter über Wolfratshausen herein. Pfarrer Matthias Kern notiert: "Die Hagelkörner lagen gut zwei Hand hoch, es sah aus wie im tiefsten Winter. Gärten total vernichtet, Obst am Boden,  Fenster in Mengen zertrümmert."

Der Winter 1941/42, der den deutschen Soldaten an der Ostfront in Rußland so furchtbar zusetzt, bringt im Bezirk Wolfratshausen Temperaturen von bis zu 32 Grad minus und dauert bis Mai.





Die Reserve-Garnison:
Hauptquartier Schule




Wolfratshausen wird Militärstandort

"Große wirtschaftliche Not und soziales Elend" gibt es laut Heinrich Jost in Wolfratshausen, als er 1936 als Bürgermeister in den Markt kommt. In seinem Bemühen, den Ort wirtschaftlich zu stärken, wendet sich der Nationalsozialist am 26. August auch an das Militär.

Er bittet das Luftkreiskommando V und das Wehrkreiskommando VII in München, "bei eventueller Einrichtung von neuen Standorten (...) Wolfratshausen (...) als Standort vormerken zu wollen". Die Gemeinde, so schreibt Jost weiter, "glaubt über genügend tiefe und lange Strecken Gelände, die landwirtschaftlich nicht genutzt sind, zu verfügen".

In seinem in untertänigem Ton gehaltenen Schreiben lockt Jost die Wehrmacht mit "weitgehendstem Entgegenkommen".
Für Unterkünfte und Exerzierplätze werde Grund zur Verfügung gestellt, selbst wenn dafür Enteignungen privater  Eigentümer notwendig wären, verspricht der Bürgermeister den Militärs.

Die Gemeinde werde, schreibt Jost, "mit allen gesetzlichen Mitteln unter Einschaltung höherer Dienststellen" die Grundstücke erwerben. Nach Meinung des Bürgermeisters ist Wolfratshausen auch für motorisierte Einheiten geeignet, wegen der günstigen Lage an der Reichsstraße München-Mittenwald (heute B11).




Bewachung der Kriegsgefangenen
 
Aber Jost ist zu spät dran. Die Wehrertüchtigung Deutschlands im Hinblick auf kommende Eroberungskriege läuft längst.
Am 9. Oktober 1936 lässt Major Maier im Auftrag des Chefs des Generalstabs den "Herrn Oberbürgermeister" wissen,
dass "der Heeresaufbau in seinen Grundzügen festgelegt ist". Aber: "Sollte sich in Zukunft die Notwendigkeit zur Bildung neuer Standorte ergeben, wird das Generalkommando sich gerne der Bereitwilligkeit des Marktes Wolfratshausen erinnern."

Im Sommer 1940 - der Krieg ist bereits ein halbes Jahr alt, Frankreich erobert - kommt das Militär doch: Das Bataillon 435 der Landesschützen bezieht sein Hauptquartier in Wolfratshausen. Allerdings sind die Landesschützen keine Frontsoldaten.

Ihre Aufgabe ist die Bewachung der immer zahlreicher zur Zwangsarbeit in die Provinz abgeordneten Kriegsgefangenen. Sie kommen vor allem in den Rüstungswerken im Wolfratshauser Forst zum Einsatz, aber auch auf den Bauernhöfen, deren Männer zur Wehrmacht eingezogen sind, und in den Betrieben: Deutsche Arbeitskräfte sind rar in dieser Zeit, in der alle Männer an die Front müssen.

Die Verteilung der Gefangenen besorgen die Ortsbauernführer und die Bürgermeister. Bevölkerung und Gefangene pflegen ein gutes Verhältnis zueinander - oft zum Argwohn der Partei. Nach Kriegsende wirkt sich dies aber positiv aus: Die Berichte der nach Hause zurückgekehrten Franzosen erleichtern den deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich ihr Schicksal.


Die Landesschützen in Wolfratshausen.




Bis Dachau und Schongau


Der Kommandobereich der Wolfratshauser Landesschützen reicht von Dachau bis Garmisch und von Schongau bis zur Autobahn im Osten. Das Bataillon zählt bis zu 5000 Soldaten - vor allem Männer, die wegen körperlicher Gebrechen oder auch ihres Alters nicht kriegstauglich sind.

Der Bataillonsstab wird in der alten Schule (heute Isarkaufkaus) im Markt untergebracht. Weitere Kommandostellen sind
das Gasthaus "Grüner Baum" in Weidach, die "Alte Post" und der "Haderbräu". Im "Loisachhof" am Obermarkt sind die Soldaten einquartiert, im (alten) Pfarrhof die unteren Offiziersgrade. Im Vermessungsamt am Untermarkt (neben dem Rathaus) werden die Truppen eingekleidet, im "Klösterl" der Armen Schulschwestern befindet sich die Waffenkammer.

Die Schreibstube logiert im "Schererbräu" und die Schneiderei im "Löwenbräu". Besteht das Bataillon anfangs nur aus Bayern und Westfalen, so werden später auch Sachsen und Wiener eingezogen.

Zunächst sind im Ort nur 40 Kriegsgefangene vorwiegend aus Polen eingesetzt. Sie wohnen in einem Behelfslager an der Königsdorfer Straße und arbeiten unter anderem im Sägewerk Hatz, in der Kunstmühle Eichele (Weidach) und in der Molkerei Metzger.




Viele Fluchtversuche

Später werden aber in den größeren Orten im Oberland weitere Lager für Tausende von Gefangenen eingerichtet. Die Bewachung wird immer schwieriger. Fluchtversuche sind an der Tagesordnung. Immerhin 1561 Ausländer aus 19 Staaten sind am 31. Januar 1944 in Wolfratshausen gemeldet (vermutlich ohne Rüstungsfabriken), darunter 740 "zivilgefangene" Russen, 279 Franzosen und 141 Ukrainer.

In Wolfratshausen gewöhnt man sich schnell an die Präsenz des Militärs. Selbst Ortspfarrer Matthias Kern lobt die Soldaten: "Ihr Verhalten ist einwandfrei, in der ersten Zeit fast kameradschaftlich." Hilfreich für das Ansehen der Landesschützen ist auch die Tatsache, dass sie der Feuerwehr helfen und Luftschutzbunker bauen.

Beim Einmarsch der Amerikaner am 29. April 1945 erwirbt sich  Bataillons-Kommandeur Major Dr. Luber Verdienste um den Markt: Gegen den Widerstand fanatischer SS-Truppen erzwingt er unter Einsatz seines Lebens die kampflose Übergabe des Marktes.





Tote Helden




"Mit unerhörter Tapferkeit"

"Tief in meinem Innersten bewegt, erfülle ich heute die traurige Pflicht der Verkündigung des Heldentodes Ihres Sohnes Josef. Mit der Kompanie am 31. März 1944 an der großen russischen Einbruchstelle südlich Flockau eingesetzt, traf ihn bei der Abwehr und beim Gegenstoß gegen die in Massen anrennenden Russen das tödliche Geschoss.

Es war in den Nachmittagsstunden, als er mit wenigen getreuen Kameraden aus seinem Kampfgraben heraus sprang und gegen die das Regiment zu umfassen drohenden Russen mit unerhörter Tapferkeit und fabelhaftem Schneid hinein stieß.

An der Spitze seiner Männer schlug er dem Gegner blutige Wunden. Da plötzlich traf ihn eine Granate eines russischen Panzerkampfwagens. Josef war sofort tot und hat in keiner Weise gelitten ..."




182 Mal Heldentod

Schreiben wie dieses an die Familie Bromberger erreichen im Krieg fast wöchentlich die Angehörigen gefallener Soldaten in Wolfratshausen. Keine Familie bleibt davon verschont. Auf den Schlachtfeldern im Osten, Westen und Süden stirbt der männliche Nachwuchs dahin.

182 gefallene Pfarrangehörige listet das 1951 aufgestellte Kriegerdenkmal in der Stadtpfarrkirche auf. Welches Leid jeder einzelne "Heldentod" über die Angehörigen gebracht hat, ist unermesslich. Allein 1944 sterben 55 Wolfratshauser an der Front, 1943 sind es 39, 1942 werden 33 tote Soldaten in der Heimat registriert.

Die Gefallenenmeldungen werden von der Front an das Wolfratshauser Rathaus geschickt. Ein Zeitzeuge erinnert sich: "Immer wenn Bürgermeister Jost mit ernstem Gesicht durch den Markt gegangen ist, dann wussten wir, er hat wieder einer Familie den Tod eines Angehörigen zu melden. Und wir hofften immer, dass es nicht uns trifft."

Wie leidvoll dieser Krieg auch für die in der Heimat zurückgebliebenen Angehörigen ist, zeigt das Schicksal der Familie Singer in Dorfen.


182 Mal Tod: Das 1951 aufgestellte Ehrenmal in der Wolfratshauser St.-Andreas-Kirche.




Erst Johann, dann Jakob

Im Dezember 1943 erreicht die Singers ein Brief von Leutnant Stechert aus Tjapieka am Dnjepr in Russland: "Als derzeitiger Kompanieführer habe ich die Pflicht, Ihnen die traurige Nachricht zu übersenden, dass Ihr Sohn Johann am 11. November 1943 sein Leben für Großdeutschland gelassen hat. Er war uns ein guter Kamerad, pflichtbewusst und tapfer."

Johann Singer (23) gehörte einem Stoßtrupp an, der zu Erkundungszwecken  den 500 Meter breiten Fluss Dnjepr überqueren sollte. Aber das Boot kenterte: Von sechs Mann Besatzung überlebte nur einer. Johann Singer war es nicht.

Stechert schreibt: "Ich möchte davon keine großen Worte machen, ich würde vielleicht die Wunde nur noch tiefer reißen.
Nehmen Sie meine Zeilen als ein Zeichen tiefster Anteilnahme."

Drei Monate später bekommen die Singers erneut Post von der Ostfront. Der Tod ihres zweiten Sohnes Jakob (19) wird ihnen mitgeteilt. Er war am 20. Februar 1944 gefallen. Sein Kompanieführer Miller schreibt routiniert:

"Die Gewissheit, dass ihr Sohn Jakob für die Größe und Zukunft unseres deutschen Volkes sein Leben hingab, möge Ihnen, sehr geehrter Herr Singer, in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat, Kraft geben und ein Trost sein."

Auch Jakob starb nicht im Kampf, wie aus einem zweiten Brief von Unteroffizier Ludwig Kesrehuch hervorgeht: "Er erfror still und friedlich, ohne dass wir es gemerkt hätten, wenn es uns der Arzt nicht gesagt hätte."




Soldaten werden immer jünger

Die dauernden Todesmeldungen von der Front lassen auch in der Heimat die Stimmung in den Keller sinken. Immer jünger werden die Soldaten, die nach kurzer militärischer Schulung von Wolfratshausen aus in den Krieg nach Russland oder Frankreich geschickt werden.

Und ab dem Winter 1941 müssen vermehrt auch Frauen in der Heimat im Arbeitsdienst kriegswichtige Tätigkeiten verrichten. Das "Wolfratshauser Tagblatt", das voll ist von Todesanzeigen und Gefallenenberichten und noch Jubelmeldungen von der Front bringt, als es längst nichts mehr zum Jubel gibt, veröffentlicht zur Stärkung der Moral auch nette Berichte aus dem Krieg, wie jenen über eine "Freudige Überraschung aus dem Kampfgebiet" (4. Dezember 1942):

Da leuchtete ein Glück

"Dass ein Krieg neben allen Gefahren, Mühseligkeiten und Schrecken
auch seine heiteren und freudigen Seiten besitzt,
wird jeder Feldzugsteilnehmer bestätigen müssen.
Eine Reihe von humorvollen Anekdoten oder freudigen Ereignissen
sind in dieser Hinsicht schon bekannt geworden.

Manchmal trägt aber auch der Zufall dazu bei,
freudige und heitere Momente auszulösen.
Dies war vor kurzem wieder im Osten der Fall, wo sich zwei Geschwister,
ein Bruder und eine Schwester, unvermutet begegneten.

Der Bruder Otto Kaiser, Obergefreiter bei den Fliegern,
nahm Marschverpflegung zu sich, die ihm von DRK-Helferinnen
verabreicht wurde. Er deutete hierbei an, dass seine Schwester
im gleichen Abschnitt auch RK-Helferin wäre
und ob sie nicht etwas von ihr wüssten.

Und wirklich, die Schwester Zenta Kaiser befand sich nicht weit
von dem Platz und konnte alsbald herbeigeholt werden.
Das war eine seltene Überraschung, dieses Zusammentreffen
von Bruder und Schwester im Feindesland. Die Schwester fiel dem Bruder
um den Hals, und aus dem Angesicht der beiden leuchtete ein Glück,
dass auch die Umstehenden ihre helle Freude daran hatten.
Dann forderte der strenge Dienst des Krieges wieder sein Recht,
aber ein heller Schein hatte sich über das ernste Geschehen bereitet."


Auch Magdalena Pickl starb für Führer und Vaterland.





Mit Dampfer untergegangen

Selbst Frauen fallen dem Kriegsgeschehen fernab der Heimat zum Opfer. In Wolfratshausen ist der Fall der 34-jährigen Stewardess Magdalena Pickl überliefert, die mit dem Dampfer "Boltenhagen" im Herbst 1942 untergeht: "Es handelt sich bei diesem Dampfer nicht um ein Kriegsschiff, sondern um ein Handelsschiff, das in der freien Fahrt, aber natürlich für Deutschland eingesetzt war", schreibt Reeder August Bolten an Magdalenas Schwester Thekla Stahl in Nantwein:

"Ihre Schwester hat durch Feineinwirkung ihr Leben lassen müssen." In der Todesanzeige der Tochter eines Mineralwasser-Fabrikanten heißt es dazu: "Ich starb den schönsten Tod - Den Tod fürs Vaterland."






Brennende Höfe




Ich will Maier heißen...

"Ich will Maier heißen, wenn auch nur ein einziges feindliches Flugzeug das Ruhrgebiet überfliegt", hat Göring zu Beginn des Krieges gesagt. Nun, dass jemand Herrn Göring mit Herr Maier angesprochen hat, ist kaum anzunehmen. Tatsache ist indes, dass Hitlers "Totaler Krieg" ab 1943 auch die Menschen in Wolfratshausen und in den umliegenden Dörfern in Atem hält.

Ab Frühjahr 1944 bombardiert die allierte Luftwaffe regelmäßig München, die "Hauptstadt der Bewegung". Und auch auf den Landkreis fallen Bomben, zumeist sind es "Notabwürfe" von beschädigten Flugzeugen. Gezielt ist lediglich der Bomberangriff am 9. April 1945 auf die Rüstungsfabriken im Wolfratshauser Forst.

Bürgermeister Hans Winibald spricht in einem Bericht von 1948 von einem "schaurig-schönen Bild" der Luftangriffe auf München. Aber: "Während des Krieges blieb Wolfratshausen von Fliegerangriffen verschont. Die schlechte Sicht durch den Berghang und der oft lagernde Nebel dürfte viel dazu beigetragen haben."

Nach dem Abfall Italiens aus der Kriegsgemeinschaft mit dem Deutschen Reich im Herbst 1943 starten von der Flugbasis Foggia (150 Kilometer nördlich von Bari) aus die Bomberverbände der alliierten Streitkräfte. 800, 1000 und sogar noch mehr Maschinen überqueren die Alpen und laden ihre tödliche Fracht über den deutschen Städten ab.




Bomben in schöner Mondnacht

14 Mal müssen die Wolfratshauser 1943 in die Luftschutzbunker, im darauf folgenden Jahr heult die Sirene bereits 94 Mal. Und 1945 müssen die Menschen im Oberland fast ununterbrochen in die Schutzräume, um dort stundenlang auszuharren, bis die Bomber wieder zu ihren Flugbasen zurückkehren.

Die ersten Fliegerbomben im Landkreis Wolfratshausen treffen bereits am 20. September 1942 in einer, wie's heißt, "schönen, sternenklaren Mondnacht" Aufkirchen. Der "Notabwurf", drei Bomben, explodiert nahe der Kirche und legt das Mesnerhaus sowie die beiden gegenüberliegenden Anwesen in Trümmer.

Auch die Kirche und das Kloster werden am Dach schwer beschädigt. Zudem gehen sämtliche Fenster zu Bruch. Sechs Menschen sterben, darunter zwei Frauen. Von ihnen bleiben, so die Chronik, "keinerlei Überreste".


Sechs Tote und drei zerstörte Häuser waren die Folge dieses "Notabwurfs" 1942 auf Aufkirchen.




Kirchenfenster gehen zu Bruch


Wolfratshausen erlebt eine Schreckensnacht am 7. September 1943, als München-Sendling angegriffen wird. Ein angeschossenes englisches Flugzeug wirft eine Bombe in den Buchsee, ein Geschoss explodiert am Dorfener Burgberg,
eine dritte landet in der Isar und noch weitere auf dem Riedhof bei Ergertshausen sowie auf dem Eglinger Fischhaber-Hof. Die Bauernhöfe werden schwer beschädigt. Die siebenköpfige Besatzung des abgestürzten Flugzeugs wird in Neufahrn beerdigt.

In derselben Nacht, um 22 Uhr, detoniert am Wolfratshauser Schlossberg eine 40-Zentner-Luftmine: Durch den Luftdruck werden an der Süd- und Ostseite der Wolfratshauser Pfarrkirche die größtenteils farbigen Fenster zerschmettert.
Beschädigt werden auch Häuser an der Münchner Straße in Weidach und das Dach der Kastenmühle.

Eine weitere Bombe, die in der Loisach landete, explodiert erst am nächsten Nachmittag. Eine ganze Serie von Brandbomben geht zwischen dem "Wolfra"-Keller (hinter dem Haderbräu) und der Weidacher Schule nieder. Mehrere Häuser brennen ab.



Feuerwehr voll im Einsatz


In der Chronik der Wolfratshauser Feuerwehr ist diese Schreckensnacht genau beschrieben: "In Weidach machte zuerst die in der Kastenmühle stationierte HJ-Feuerwehrgruppe unter Leitung von Gruppenführer Winibald die im Bereich dieser Mühle gefallenen Brandbomben unschädlich. Sodann bekämpfte sie im Verein mit der Ortsfeuerwehr den Brand des Anwesens Wammetsberger sowie kleinere Brände in Holzhütten und Heuschobern.

Zum Brand im Gut Riedhof war die Fladerspritze mit Zugführer Fagner abgerückt, konnte aber dort wegen Wassermangels nicht in Tätigkeit treten. Diese Gruppe kehrte nach Weidach zurück und trug wesentlich
zur Niederkämpfung des Feuers beim Bauern Frech bei ..."




Bomber in der Luft zerplatzt

Der Wolfratshauser Max R. schreibt über die Bombennacht an seinen Bruder Hans, der die Luftwaffenschule in Kassel besucht: "Es ist alles gut gelaufen, obwohl die Flugzeuge ganz nahe über die Häuser wegbrummten. Einen von den Bombern habe ich in der Luft zerplatzen sehen. Es gab eine riesige Benzinstichflamme, und dann fielen brennende Stücke herunter. Das ist mir eine große Genugtuung gewesen, dass wenigstens einer hat dran glauben müssen."

Betroffen von dem Fliegerangriff sind auch der Bereich Schäftlarn-Baierbrunn und das Mühltal-Kraftwerk. Schwere Treffer bekommt die Baierbrunner Kirche ab, ein Wohnhaus wird zertrümmert, der Bewohner stirbt, im Mühltal-Kraftwerk ist ebenfalls ein Toter zu beklagen. In Straßlach brennen vier Häuser nieder, entzündet durch Phosphor-Brandbomben.


Heimlich aufgenommen hat Haderbräu-Wirt Josef Jäger am 13. Juni 1944 dieses Foto eines
amerikanischen  Bomberpiloten, dessen Flugzeug in der Pupplinger Au abgestürzt war.
Der GI wird von den Landesschützen ins Kriegsgefangenenlager nach Nubiberg gebracht.





KZ-Häftlinge entschärfen Blindgänger


Ein halbes Jahr später treffen erneut Bomben das Wolfratshauser Umland. Beim ersten großen Tages-Angriff auf München am 19. März 1944 lässt ein angeschossenes alliiertes Flugzeug seine Fracht ab. 180 Sprengbomben ziehen eine Kraterlinie von Walchstadt bis Dorfen.

Etliche Bomben fallen ins Moor, eine ins Müller-Anwesen: Sie bleibt als Blindgänger im Gebälk des Hauses hängen.
Das Haus wird für drei Wochen evakuiert. Dachauer KZ-Häftlinge müssen die gefährliche Ladung entfernen.

Mitte Juni im selben Jahr gehen Bomben auf das Kloster Schäftlarn nieder. Ein Stadel wird in Brand gesetzt, im Innenhof detonieren vier Brandbomben und hinterlassen gewaltige Trichter.

Weitere Bomben landen im Bereich zwischen Aumühle und Bruckenfischer. Auch in Ebenhausen gehen gut ein Dutzend Sprengkörper nieder, das Wirtschaftsgebäude des Gasthofs zur Post wird getroffen, und bei Irschenhausen werden am anderen Morgen auf freiem Feld 35 Bombentrichter gezählt.

Allerdings richten die Bomben nicht nur Schaden an: Nach einem Notabwurf holen die Ammerlander Fischer 15 Zentner Fisch aus dem See, eine willkommene Bereicherung des kargen Speisezettels.




Bomber explodiert über Degerndorf

Ruhig und friedlich verläuft das Leben in Degerndorf während des Krieges - bis zum 17. Dezember 1944. In dieser Nacht entgeht der Ort um Haaresbreite einem Inferno. Die Erinnerung an die Schrecken ist bei vielen Degerndorfern noch heute gewahr. Die Geschichte des Schreckens beginnt am 22. November 1944.

Mehr als 20 Sprengbomben schlagen an jenem Tag unvermittelt hinter einem Hügel, östlich des Dorfes ein, "mit ungeheuren Detonationen. Niemand hat damit gerechnet", erinnert sich Johann Steigenberger 50 Jahre danach.

Einen Volltreffer hat die Verbindungsstraße nach Bolzwang abbekommen, sie ist unpassierbar. Aber der Ort, in dem zu diesem Zeitpunkt außer sechs Männern nur Frauen und 60 Kinder leben, bleibt verschont. Zurück bleiben von dem Angriff lediglich zehn Meter tiefe Krater in der Erde.

"Fast täglich sind in den letzten Wochen die Sirenen zu hören", schreibt der Geistliche Betzinger am 17. Dezember 1944 in sein Tagebuch. Gegen 22.15 Uhr ist wieder das Brummen von Flugzeugmotoren auszumachen. Eine Maschine - eine von 180, die an jenem Abend Münchens Innenstadt in Schuttberge verwandelt - nähert sich lichterloh brennend Degerndorf.

Die britische Lancaster ist angeschossen. "Über den Hausdächern unseres Dorfes droht die mit Phosphorbomben voll beladene Kriegsmaschine abzustürzen." Und tatsächlich: Der Bomber explodiert.




Charles S. Joce kehrt zurück

Glühende Flugzeugteile werden kilometerweit um die Absturzstelle, wenige hundert Meter westlich des Ortes, geschleudert. "Der Phosphor regnet brennend vom Himmel, und die Felder stehen plötzlich in Flammen. Im Dorfteich zischt es, als die glühenden Tropfen ins Wasser fallen. Der Himmel ist hell erleuchtet."

Aber wie durch ein Wunder passiert den Degerndorfern wieder nichts, "nicht ein Dachziegel auf dem Stadel, neben dem das Flugzeug aufschlug, ist beschädigt", erzählt Steigenberger.

Das ist umso unglaublicher angesichts des Bildes, das sich den Dorfbewohnern am nächsten Tag bietet: "Hunderte gebündelte Brandbomben, kanisterweise Phosphor liegen weit verstreut. Die Körper der sechs toten Besatzungsmitglieder haben tiefe Mulden in den gefrorenen Boden geschlagen."

Unmöglich, in dieser weiten, drückenden Stille auf den Feldern noch ein Lebenszeichen auszumachen. Und doch, ein Mann, gezeichnet von starken Verbrennungen, läuft den fassungslosen Degerndorfern in die Arme. Die ganze Nacht ist er herumgeirrt, auf der Suche nach Hilfe: Charles Samuel Joce.

Der Engländer wird zum Bürgermeister gebracht - und von Georg Bolzmacher medizinisch versorgt. Tage nach seinem Absturz wird er am Wolfratshauser Bahnhof vom deutschen Militär abgeholt. Er ist nun Kriegsgefangener. Seine sechs Kameraden müssen, so verlangen es die Nazis, ohne kirchliche Zeremonie verscharrt werden.

Aus Dankbarkeit über seine Rettung kehrt Charles S. Joce Ende der 50er Jahre noch einmal nach Degerndorf zurück, in den Ort, in dem er als "Feind" freundlich aufgenommen wurde.

Zumindest von den meisten: Einige "Überängstliche" (Steigenberger) hatten den Engländer nämlich bei der Polizei Wolfratshausen gemeldet. Ihre Empfehlung - "Derschlagt's ihn glei, dann ham mir keine Scherereien mit ihm" - wird zum Glück nicht befolgt.





Schutz der Heimat

Gegen die todbringenden Bomber ist kein Kraut gewachsen. Den einzigen, bescheidenen Schutz bieten Keller und Luftschutzbunker. Der Bau dieser Schutzräume wird vor allem nach dem verherrenden Luftangriff auf München am 20. September 1942 vorangetrieben. Allerdings fehlen einheimische Arbeitskräfte - alle wehrfähigen Männer sind zum Fronteinsatz eingezogen.

Darum werden ab Februar 1944 zehn serbische Kriegsgefangene, vier Monate später auch noch 19 britische Gefangene zum Bau von Deckungsgräben herangezogen. Sie sind in einem eigenen Lager inhaftiert. Ihre Arbeitszeit beträgt wöchentlich 56 Stunden. An Lohn erhalten sie 60 Prozent der Bezüge eines deutschen Arbeiters.

Die Überreste eines solchen Luftschutzstollens am Wolfratshauser Berg oberhalb des "Schererbräu" sind bis in die 80er Jahre noch zu sehen.




Frauen bei der Feuerwehr

Die wenigen daheimgebliebenen Männer, alte und kranke, haben während des Luftkriegs alle Hände voll zu tun - vor allem jene, die bei der Feuerwehr ihren Dienst tun.

Bei einer Besprechung am 30. April 1944 - das Thema lautet "Sicherstellung der Einsatzfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr Wolfratshausen" - wird Landrat Adolf v. Liederscron eindringlich darauf hingewiesen, dass es zu wenige Aktive gibt.

Er reagiert prompt: "Der Bürgermeister von Wolfratshausen wird Ergänzungskräfte zu ermitteln versuchen und zwar Männer und Frauen und diese dem Landrat zur Notdienstverpflichtung melden."

Am 13. Januar 1945 wird vom Landrat eine Liste mit 22 Namen von jungen Frauen, Mitgliedern des Bund Deutscher Mädel (BDM), verschickt. Sie werden "im Einvernehmen mit der Hitler-Jugend zum kurzfristigen Notdienst in der Freiwilligen Feuerwehr Wolfratshausen herangezogen". Wer sich widersetzt, soll laut Liederscron "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bestraft" werden.





Winibald: "Es wird gegessen"

Ausrücken muss die Feuerwehr sogar zu den von Bomben entfachten Bränden in der "Hauptstadt der Bewegung", in München. Allein im Januar 1945 sind es kurz hintereinander drei Einsätze. Gelöscht und gerettet wird bis zur Erschöpfung - und darüber hinaus.

Eine schon fast komisch anmutende Begebenheit vom 19. Dezember 1944 macht dies deutlich. Da schreibt der  Wolfratshauser Kommandant Ferdinand Bartl an den Landrat Liederscron:

"Beim heutigen Fliegeralarm um 11 Uhr 57 Min. kamen verschiedene Feuerwehrmänner mit Verzögerung. Dieselben wurden gerügt und auf ihre Pflichten aufmerksam gemacht, da ein rascheres Antreten unbedingt verlangt wird.

Bei Prüfung, ob die Motorspitzen besetzt sind, stellte ich fest, dass der Führer der Gruppe bei Eichele (Besitzer des Kastenmühlwehrs, d. Autor) in Weidach fehlt. Um 12 Uhr 30 ließ ich denselben, Hans Winibald, holen.

Bei seinem Eintreffen um 12 Uhr 40 stellte ich ihn zur Rede und erhielt die Antwort: Zuerst wird gegessen, und dann stelle ich mich der Allgemeinheit zur Verfügung."

Hans Winibald hat zu zivilem Ungehorsam allen Grund: Er war der letzte demokratisch gewählte Bürgermeister Wolfratshausens, bevor ihn die Nazis 1933 absetzten.





Bei Mehl selbstversorgt


Zu Kriegsende wird der Lebensmittel-Mangel immer schlimmer. Selbst die Kranken und die Mitarbeiter des Krankenhauses haben nicht mehr genug zu beißen. Sie greifen zur Selbsthilfe...

In einem Brief an das Landratsamt protestiert Ende November 1944 Verwaltungsleiter S. darüber, dass "der Verbrauch an Brot außerordentlich zugenommen hat". Küchenschwester Josefine K. und Oberschwester Bruna K. nennen als Grund:
"Die Kranken müssen auch satt werden und da muss eben auch geschaut werden, dass durch Hamstern Mehl herkommt."

Laut Rechnung von S. verbraucht das Krankenhaus im Monat über eine Tonne Mehl. Zugestanden werden über Bezugsscheine jedoch lediglich 924 Kilogramm. Er sei der "Überzeugung, dass unser Ostarbeiter-Personal diese Gelegenheit reichlich wahrgenommen hat und nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kameraden Brot aus der Anstaltsküche sich widerrechtlich angeeignet hat."

Gemeinsam mit Chefärztin Dr. H. verlangt S. die Ablösung von Schwester Josefine und von Oberschwester Bruna. Ob mit Erfolg oder nicht, ist nicht bekannt.





Lebende Geister




Holzschuhe schlurfen ohne Ende

Es ist dieses furchtbare Geräusch, das sich in das Gedächtnis der Leute eingebrannt hat. Mitten in der Nacht ist ein seltsames, sehr monotones Klappern zu hören. Man vermutet das Schlagen von Pferdehufen auf dem Asphalt - berittene Wehrmacht-Soldaten auf dem Rückzug. Ein anderer Augenzeuge spricht von einem "ganz eigentümlichen Schlürfen und Schlerfen von der Straße her".

Was tatsächlich passiert, ist unglaublich: Hunderte, ja Tausende von Dachauer KZ-Häftlingen ziehen, nur bekleidet mit Holzschuhen, in der Nacht zum Samstag, 28. April 1945, ab 3 Uhr, und am folgenden Tag durch den Markt Wolfratshausen.

Ein Zeuge: "Wir trauten unseren Augen nicht - ein endloser Zug unheimlicher Gestalten, fast geisterhaft, alle nur dürftig gekleidet." Die KZ-Häftlinge im gestreiften Drillich marschieren in Vierer-Reihen in Richtung Süden.

Vier Tage sollen sie Zeit haben für den 135 Kilometer langen "Todesmarsch" nach Tirol. Neben den Häftlingen geht alle 50 Meter ein schwerbewaffneter SS-Soldat - insgesamt sind es an die 600 - und mancher einer führt einen abgerichteten Bluthund an der Leine.

Der Augenzeuge: "Die Leute riefen: ,Wir sind von Dachau. Hunger! Hunger! Gebt uns Brot! Wasser ...' Uns kamen die  Tränen beim Anblick dieser Tragödie. Meine Tochter holte einen Kübel Wasser, stellte ihn auf einen Hocker und fing an, auszuteilen. Aber da kamen schon die Wachleute und drängten weiter.

Am Morgen liefen wir zum Bäcker Berger nebenan und holten Brot. Es waren an die 30 Wecken, die wir austeilten. Immer wieder wurden die Leute von den Posten weggeprügelt. Dann und wann traf einen Gefangenen der wuchtige Schlag mit einem Stock oder dem Gewehrkolben."

Unter strenger Bewachung marschieren die KZ-Häftlinge durchs Oberland.


Benno Gantner aus Percha hat seine Erinnerungen an das Grauen des Todesmarsches gemalt.




KZ Dachau seit 1933

Nur zwei Monate nach der Machtergreifung, im März 1933, eröffnet Hitler in Dachau das erste Konzentrationslager. Die Zeitungsleser, auch in Wolfratshausen, erfahren davon durch seitenlange Bildberichte. Insgesamt sind in deutschen KZs 18 Millionen Menschen inhaftiert, 11 Millionen sterben dort, rund die Hälfte davon sind Juden.

Einige Tage vor Kriegsende werden überall in Deutschland von der SS die Konzentrationslager geräumt. Vermutlich etwa 14.000 Häftlinge (so eine mittlere Schätzung) werden ab dem 26. April 1945 aus dem KZ Dachau fortgeführt.

Sie marschieren in Richtung Tirol - angeblich, um dort, in Hitlers "Alpenfestung" (deren Existenz war eine bloße Legende,
die die alliierten Streitkräfte allerdings stark verwirrt, der Autor) als Arbeitssklaven zu dienen. Vom Ostufer des Sees aus
kommen mehrere Häftlingszüge durch Wolfratshausen und Eurasburg.




Käse, Brot und Margarine


Die aus dem weitgehend geräumten KZ Dachau kommenden Menschen sind halbverhungert. Heinrich Pakullis: "Ich wog 48 Kilo, mein normales Gewicht bei einer Größe von 1,76 Meter ist 76 Kilo." Beim Abmarsch am 26. April erhalten sie eine Decke und Marschverpflegung für drei Tage, "eine Dose Konserven, zwei Drittel Brot (etwa ein Kilo), etwas Käse und Margarine", wie der Todesmarsch-Teilnehmer Franz Scherz berichtet.

Viele essen alles sofort auf. Der Weg geht nach Süden, um München herum über Allach durch das Würmtal, nach Starnberg und weiter über Höhenrain und Dorfen nach Wolfratshausen.

"Am Straßenrand ein Bauernhaus an dessen Fenster seit Morgengrauen die wankenden Gestalten voll Hunger und Verzweiflung klopfen", so berichtet der Häftling und Jesuitenpater Otto Pies über die Ankunft in Dorfen. "Immer wieder öffnet die alleinstehende Bäuerin (Frau Kierein, d. Autor) die Fenster und nach einem scheuen Blick gibt sie, was sie an Stärkung hat."

Auch andere Bürger reichen Lebensmittel - bis nichts mehr da ist. Nachmittags betritt ein SS-Mann das Kierein-Anwesen und verlangt, etwas zu essen. Die Bäuerin, verbittert von den Greueltaten der SS, zögert, reagiert reserviert. Da fährt sie der Soldat barsch an: "Muss ich Dich gleich umlegen. Ich habe schon so viele umgelegt."

Viele KZ-Häftlinge versuchen zu fliehen, etliche werden dabei erschossen. Bei den "Armen Schulschwestern" versteckt sich ein einer von ihnen, drei weitere werden von einem Feldwebel der in Wolfratshausen stationierten Landesschützen vorgeführt. Der jüngste, ein Priester, bekommt die Erlaubnis zu einem kurzen Gebet in der Stadtpfarrkirche.


Der Weg der Dachauer KZ-Häftlinge durch den Landkreis.    

  


Brot für die Marschierer

"Wenn Sie nicht sofort damit aufhören, werde ich Sie erschießen", brüllt der SS-Mann Georgine März und deren Mutter Maria an. An dem Haus, an der heutigen Königsdorfer Straße, in dem die 16jährige Georgine mit ihrer Familie lebt, zieht ein von SS-Soldaten bewachter Zug mit etwa 40 KZ-Häftlingen vorbei.

"Sie schleppten sich nur und die meisten waren barfuß", erinnert sich die heutige Frau Ebnet. Als sie und ihre Mutter
vors Haus gehen, um den Häftlingen selbst gebackenes Brot zu geben, stürzen sich die ausgemergelten, ausgehungerten Gestalten darauf. Der SS-Wachsoldat schreit die Frauen nochmals an. Beide wissen, dies ist keine leere Drohung und weichen zurück ins Haus.

Tags darauf, gegen 16 Uhr, kommt am Elternhaus von Georgine März wieder eine Kolonne mit KZ-Häftlingen vorbei. "Die SS-Leute hatten auf einen großen Karren ihre Koffer verladen. Den mussten einige der Häftlinge ziehen", erinnert sie sich.

Da aber ein Rad des Wagens defekt ist, entschließen sich die SS-Leute über Nacht auf dem März-Hof zu kampieren und das Rad reparieren zu lassen. Am nächsten Morgen steht Georgine gegen 5 Uhr auf, um ihre Arbeiten im Stall zu erledigen. Da bemerkt sie, dass sich ein Häftling vom Heuboden herablässt. Noch drei folgen ihm.




KZ-Kleidung im Misthaufen

"Sie sagten nur, daß sie abhauen wollen und fragten mich, wie sie am besten zu den Amerikanern kommen können."
Natürlich müssen die Männer ihre gestreifte Häftlingskleidung loswerden. "Ich erklärte ihnen den Weg nach Starnberg, denn da standen schon die Amerikaner. Außerdem gab ich ihnen alte Kleider meines Vaters. Die gestreifte Häftlingskleidung versteckte ich im Misthaufen."

Einer der Männer verspricht dem jungen Mädchen, dass er sie besuchen werde, wenn die Flucht gelingt.
Und er kommt tatsächlich noch einmal zurück. "Was aus den anderen geworden ist, weiß ich leider nicht",
sagt die 66jährige Wolfratshauserin.


Elendsgestalten, ausgemergelt und ausgehungert, ziehen in den letzten Apriltagen 1945
durch die Städte und Dörfer im Oberland (im Bild Bad Tölz). 
         




Die Hölle von Bolzwang

Von Wolfratshausen aus geht der Elendszug nach Bolzwang. Dort gibt es eine Schießerei: 39 Menschen werden von der SS ermordet. Aber in der Hölle von Bolzwang sterben noch mehr Menschen.

Etwa 9000 Häftlinge lagern am 28. April 1945 im Wald zwischen Achmühle und Eurasburg. Der Bauer Moritz Sappl
erinnerte sich 1985 in einem Gespräch mit Friedrich Hitzer: "Wenn man in das Lager hineingefahren ist, war das,
als würde man in eine Hölle hineinfahren. (...) Es waren im ganzen 68 Leichen auf unserer Flur. (...) Auf den Heuwagen haben wir sie raufgeschmissen, wie die verreckten Kälber; die sind ja vier, fünf Tage in der Kiesgrube dringelegen. Das war nicht angenehm, die Leichen aufzuladen. (...)

Menage hab ich gebracht, abgekochte Milch, Brot, Kartoffel, Fleisch. Die sind hergestürmt, so hungrig waren die. Die Gruppenführer dazwischen, das waren ja so grobe Hund. Die haben mit den Prügeln reingehauen."




Die Falle in der Teufelsschlucht

Zwischen Eurasburg und Herrnhausen überquert der Zug die Loisach. Die Brücke wird gesprengt, noch bevor alle sie überquert haben. Über Herrnhausen geht es nach Königsdorf. Die Häftlinge werden am späten Abend des 30. April bei Wolfsöd in eine Schlucht getrieben.

Hermann Riemer: "Wir waren in jedem Augenblick gefasst darauf, dass man jetzt mit Handgranaten ein fürchterliches Blutbad unter uns anrichten würde, und hielten uns bereit, durch einen Sprung in das nächtliche schwarze Dickicht dem Massaker zu entrinnen. (...)

Von dieser Schlucht, von uns die Teufelsschlucht genannt, wäre keiner wieder herausgekommen, wenn es der SS nach gegangen wäre."

Das tatsächlich geplante Gemetzel hat offenbar ein Wehrmachtsoffizier mit Namen Longin verhindert, der der SS drohte, seine Einheit werde gegen sie vorgehen, sollte den Dachauern etwas passieren.





Otto Moll, der Schlächter

Bei dem Teil des Zugs, der in Richtung Geretsried abzweigt, fehlt ein solcher mutiger Wehrmachtsoffizier. Ein SS-Offizier richtet dort Stunden vor der Befreiung ein Gemetzel an.

Einige hundert vorwiegend jüdische KZ-Häftlinge erreichen am Sonntag, 29. April 1945, das Lager Buchberg auf der heutigen Böhmwiese in Geretsried. Dort leben russische und ukrainische Zwangsarbeiter, die in der Munitionsfabrik eingesetzt sind.

Augenzeugenberichten zufolge hat ein General der Wehrmacht den SS-Bewachern befohlen, die geschwächten Häftlinge dorthin zu führen, um auf die Amerikaner zu warten.

Der Häftling Dr. Franz Hahn erinnert sich später: "Am nächsten Tag erschien in einem Mercedes anscheinend der General persönlich und stellte den (SS-)Hauptsturmführer vor versammelter Mannschaft zur Rede: Ich habe Ihnen gestern durch meinen Adjudanten sagen lassen, Sie sollen mit Ihren Leuten von der Straße verschwinden. Trotzdem schleppen Sie die armen Menschen weiter in meinem Aufmarschgebiet herum (...)

Zu uns gewandt: Hier in der Nähe ist ein Russenlager. Der Hauptsturmführer habe hiermit den Befehl, uns dorthin zu bringen und dem amerikanischen Roten Kreuz zu übergeben (...). So rückten wir also in das Russenlager ein, und die SS begann sich zu verdrücken." Einem anderen Zeugen zufolge soll jener angebliche Wehrmachtsgeneral ein verkleideter Russe gewesen sein.

Die Häftlinge sind voller Hoffnung: Die Amerikaner, die Befreier, sind nicht mehr weit entfernt. Doch das Unheil naht erneut, in Gestalt des SS-Hauptscharführers Otto Moll. Dieser fanatische Nazi hatte in den KZs Auschwitz und Birkenau Hunderte von Menschen, darunter auch viele Kinder, eigenhändig umgebracht. Auch in Buchberg will er die Juden "vernichten", wie es im Befehl heißt.

Aber den KZ-Häftlingen ist sein Name bekannt. Leon Klingerman: "In der Fri is gekomen der bewusster Mamser fon Auschwitz mit Namn Mol. (...) Er hot befoln dem Lagerfirer er sol ibergeben die Jidn. (...) Mol is gewen mit a Grupe SS-Lait. Jedener von sei is gewen ongelodn mit Revolvern un mit Maschingewer."


Das Denkmal von Hubertus Pilgrim, aufgestellt entlang der Route des Todesmarschs erinnert an  das Grauen.        




Kopfschüsse, einer nach dem anderen

Der Transportführer weist Moll zurück. Stattdessen verschleppt der Auschwitz-Mörder dann etwa 120 russische Zwangsarbeiter. Josef Kohs erinnert sich: "Sie wurden in den nahen Wald geführt. Die bald folgende wilde Schießerei belehrte uns über das Schicksal dieser Häftlinge."

SS-Mann Wilhelm Metzler gibt 1947 vor Gericht zu Protokoll: "Ich schaue auf und sehe Moll vor mir allein mitten auf der Straße, die Hände in die Hüften gestützt. vor ihm etwa 150 Meter der Wachzug marschierend. Da nimmt Moll seine M.P. (Maschinenpistole, d. Autor) in die Hand, geht links an die Straßenböschung und schießt. (...) Zu den an der Böschung Liegenden geht Moll und schießt auf jeden Kopf. Ich habe 26 gezählt."

Am späten Nachmittag des 30. April wird Buchberg von den Amerikanern befreit. Die Häftlinge bekommen am 2. Mai aus einer mobilen Militärküche zu essen. Otto Moll wird im Dachau-Prozeß zum Tode verurteilt. Wo die erschossenen Zwangsarbeiter begraben wurden, ist bis heute nicht geklärt.




Epilog: Erinnerung an 201 Tote

Nach der Befreiung der "lebenden Geister" in Bad Tölz, Greiling und Waakirchen ziehen sie eine Bilanz des "Dachauer Todesmarsch": Allein im Landkreis werden 201 verstorbene oder ermordete Häftlinge begraben, 56 von ihnen in Wolfratshausen.

Und heute, 50 Jahre später? Noch immer tun sich die Verantwortlichen in den Gemeinden schwer mit der Erinnerung an den "Todesmarsch". Bis noch vor drei, vier Jahren mussten jene Bürger, die die Errichtung von Mahnmalen forderten, mit üblen Beschimpfungen rechnen. In diesem Gedenkjahr wurden aber noch in Dorfen und bei Achmühle Gedenksteine aufgestellt. (Inzwischen stehen sie entlang des gesamten Zuges bis Bad Tölz, d. Autor, 2007.)

Bedeutsamer war indes ein anderes Ereignis. Zum 50. Jahrestag des "Todesmarsches" kamen Ende April 1995 40 ehemalige KZ-Häftlinge aus Israel und USA an die Orte des Schreckens zurück. Erinnerungen wurden wach, Gesichter und Straßenzüge, das Bellen der Wachhunde und das Peitschen der Gewehrsalven.

Bernard Offen ist einer von den Rückkehrern. Er sucht, schon beinahe verzweifelt, eine kleine Brücke an einem kleinen Fluss. Diesen hatte er 50 Jahre zuvor zu Fuß durchquert, um kurz vor der tatsächlichen Befreiung Hilfe zu holen. Offen, der heute in San Franzisco lebt, findet die Brücke, es ist jene über den Losachkanal zwischen Farchet und Waldram.

"Wir waren abends von der SS in Baracken getrieben worden", erinnert sich der jüdische Amerikaner an die Ankunft im Lager Buchberg. "Am nächsten Morgen sind die Wachen verschwunden, ich schleppe mich in die nächste Stadt" - nach Wolfratshausen. "Amerikanische Soldaten gaben uns Brot und Wasser. Damit retteten sie unser Leben."

"Wir sind hier, weil ihr eure Hand ausgestreckt habt", sagt Uri Chanoh beim Empfang 50 Jahre nach dem "Todesmarsch"
an seine deutschen Gastgeber gewandt. Und: "Wir hoffen, dass auch die nächsten Generationen Brücken der Verständigung bauen."





Die Amis kommen





Göring auf der Durchfahrt

Der Zusammenbruch kommt nicht plötzlich und schon gar nicht kommt er über Nacht. Die Wolfratshauser müssen keine "Feindsender" hören, um zu wissen, dass der Krieg bald zu Ende ist. Nein, Ende April 1945 hilft keine Nazi-Propaganda mehr.

Vor dem Einmarsch der US-Armee fluten Wehrmachts- und SS-Verbände tagelang durch den Markt in Richtung Süden.
Sie haben die Waffen in der Hand, aber die wenigsten wollen sie nochmal benutzen.

Und als in der Nacht zum 28. April die Dachauer KZ-Häftlinge durchmarschieren - da ist dies das letzte mörderische Aufbäumen eines Regimes, das keine Menschenwürde kennt.

Rotes Kreuz fährt durch den Markt, ein weißer Sanka nach dem anderen. Die Wolfratshauser sind misstrauisch: Sind das die "Goldfasane", die Bonzen von Partei und SS auf der Flucht? Andreas Spindler aus Weidach kontrolliert die Lkw.
Und tatsächlich, in einem von ihnen sitzt Reichsmarschall Hermann Göring. Zeitzeuge Spindler ist sich ganz sicher.
(Am 9. Mai 1945 wird Göring übrigens in Kitzbühel gefaßt).


In den letzten Kriegstagen fuhren erschöpfte Wehrmachtssoldaten, medizinisches Personal,
aber auch "Goidfasane", also Nazi-Bonzen, durch Bad Tölz in Richtung Süden.






Ein Tag Volkssturm

Die Wolfratshauser Bürger bereiten sich auf die kampflose Übergabe des Marktes vor. Immer wieder rasen
tieffliegende amerikanische Jagdbomber (Jabos) über den Ort, in der Verfolgung der Reißaus nehmenden Wehrmacht.
Nur Sebastian Gschwendner gibt nicht auf: Der 47-jährige Volkssturmmann will Weidach gegen die Amerikaner verteidigen - allein, mit der Panzerfaust "für Volk und Vaterland". Glücklicherweise gibt er seinen Plan wieder auf.

Apropos Volkssturm: Drei Kompanien wurden 1944 in Wolfratshausen gegründet - ausgerüstet mit Panzerfäusten und Maschinengewehren. Am 28. April 1945 löst sich der Volkssturm wieder auf - zum Glück. Hans Winibald hatte den alten Männern gesagt, dass er eigenhändig deren Waffen in die Loisach werfen werde, wenn sie nicht heim gingen.





SS-Streit in Dorfen

Kapitulation oder Widerstand bis zum Untergang? An dieser Frage entzündet sich am 28. April 1945 im Dorfener Gasthaus Märkl ein heftiger Streit zwischen einem halben Dutzend dort logierenden SS-Offizieren. Einer der Männer fragt die Wirtin nach Zivilkleidern. Sie gibt ihm einen Anzug ihres gefallenen Mannes.

Als der SS-Offizier in die Gaststube zurückkehrt, herrscht ihn ein älterer Dienstgrad empört an: "Jetzt, wo es darauf ankommt, wo uns der Führer braucht, da möchtest du feig machen. Die jungen Kerle sind ja nichts wert ..." Er droht und schimpft. Da steht ein dritter aus der Runde auf, zieht seine Pistole und schießt aus kurzer Distanz auf den älteren Offizier. Dieser bricht tödlich getroffen zusammen.

Die zwischen "Pflichterfüllung", "Führertreue" und nüchterner Einsicht gespaltene Runde hat es plötzlich eilig. Der Tote wird auf einen Lastwagen geworfen, die SS-Leute fahren in Richtung Wolfratshausen davon. Zurück bleiben in der Gaststube lediglich ein Sack Kartoffeln und einige leere Cognac-Flaschen.





Laster fliegt in die Luft

In der Nacht vor dem Einmarsch kommt noch eine Flakeinheit auf einem Hohlweg den Dorfener Berg hinunter: Sie bleibt stecken. Die Soldaten können zu Fuß flüchten. Nicht so viel Glück hat hingegen der Fahrer eines mit Sprengstoff beladenen Lastwagen bei Schlederloh.

Als der amerikanische Jabo (Jagdbomber) naht, sucht er noch Deckung unten den Bäumen. Aber er ist längst entdeckt. Der Lkw bekommt einen Volltreffer, die Detonation ist kilometerweit zu hören, Bäume knicken reihenweise um, in der Straße nach Dorfen ist ein großer Krater, der den Anmarsch der Amerikaner später noch verzögert.

In Wolfratshausen läuten nach dem Knall die Sirenen: "Die Panzer kommen." Vizemesner Ignaz Leeb und die Mesnerswitwe Karolina Engelhardt eilen auf den Kirchturm und hängen eine weiße Fahne raus. Aber noch ist SS im Markt. Sie holt die Fahne wieder ein und sucht die "Verräter" - um sie zu erschießen.




Kirche von SS umstellt

Die Kirche wird umstellt, aber niemand traut sich hinein. Ignaz Leeb hält ganz still, versteckt in einem Sakristeischrank. Aber da ist ja auch noch Major Dr. Karl Luber, der Kommandeur der örtlichen Landesschützen (im Bild). Auf Bitten von Bürgermeister Jost rettet er die Gesuchten, in dem er sie im alten Schulhaus (heute: Isarkaufhaus) in Schutzhaft nimmt. Luber zur SS, die nun die Reichskriegsflagge hissen will: "Ich bin hier der Kampfkommandant."

Inzwischen ist es Nachmittag. Ein Verband Jabos taucht auf, jagt hinter den fliehenden Wehrmacht-Verbänden her. Beim Zistl in der Äußeren Sauerlacher Straße bekommt ein Munitionslaster einen Volltreffer. Auch das Haus gerät in Brand, mehrere Menschen sterben.


Als die Amerikaner nach Dorfen vorstoßen, machen dort 6- und 17jährige Soldaten Brotzeit. Sie werden blitzartig verhaftet. Die Buben weinen und rufen nach der Mutter.


Die SS indes, fanatisch in ihrem Glauben an Führer und Vaterland, gibt nicht auf. Sie will "verbrannte Erde": Die Brücken über die Loisach werden zur Sprengung vorbereitet. Der Geltinger Bauer Josef Hack wird gezwungen, mit seinem Traktor 70 Zentner, also 3,5 Tonnen, Nitropenta-Sprengstoff aus der Geretsrieder Rüstungsfabrik zu holen. Wieder donnern Jabos heran. Hack wird nicht entdeckt.


Zehn Kisten Sprengstoff werden auf der Reichsstraße 11 an der Brücke über den Loisach-Kanal vor Föhrenwald deponiert, die selbe Menge an der Johannisbrücke, ein weiterer Sprengsatz soll die Andreasbrücke in die Luft jagen. Mit Maschinengewehren sichert die SS die Aktion ab.


Und trotzdem gelingt es einigen mutigen Wolfratshausern, das für die Andreasbrücke bestimmten Nitropenta in die Loisach zu werfen. In Gelting, am Loisachübergang zum Bruckmaier, steht auch die unter der Brücke verlegte Wasserleitung auf dem Spiel: Entschlossene Bürger überreden das Sprengkommando, abzuziehen.




Der Trick von Major Luber

Aber auch für Major Luber wird's nun gefährlich: Die SS verlangt die sofortige Erschießung der beiden "Verräter" - des Mesners Leeb und der Mesnerswitwe Engelhardt. Luber antwortet, er habe andere Sorgen und ohne Standgericht gehe sowieso nichts. Daraufhin erklärt der SS-Führer Luber und dessen Adjudanten Kollmeier - er hatte inzwischen die Reichskriegsfahne verbrannt - für verhaftet: wegen Befehlsverweigerung und Wehrkraftzersetzung.

Jetzt gehen wieder die Sirenen los, ein Dauerton, Panzeralarm. Die SS türmt. Aber erneut rückt eine 60 Mann starke Einheit in den Markt ein, ihr Auftrag: die Hinrichtung Lubers und Kollmeiers. Luber reagiert geistesgegenwärtig: "Ich bin der neue Kommandant hier. Der alte ist verhaftet und wartet auf seine Aburteilung."

Die SS lässt sich erneut täuschen. Im Rathaus trifft telefonisch die Meldung ein, auch die Andreasbrücke sei nun zur Sprengung vorbereitet, mit 300 Kilogramm Nitropenta. Zweiter Bürgermeister Ettenhuber eilt zur Brücke. Gemeinsam mit Kollmeier schneidet er die Zündkabel durch - unter Lebensgefahr: Das SS-Sprengkommando wird mit der Pistole in Schach gehalten. Mehrere Explosionen erschüttern den Ort: Johannisbrücke und Kanalbrücke sind in die Luft geflogen.

Da kommen schon die Amerikaner: Voran ein Jeep mit einem Captain und zwei Leutnants, dahinter schwere Panzer. Major Luber geht ihnen entgegen, die weiße Fahne in der Hand: "Hier wird nicht gekämpft. Ich übergebe Ihnen hiermit
den Markt Wolfratshausen."

Bürgermeister Jost wird von den Siegern verhaftet. Es ist 17 Uhr. Sechs Jahre Krieg gehen zu Ende. In der Weidach-Mühle trinkt der Hausherr Kaffee mit einem amerikanischen Offizier. Stunden vorher war auf demselben Stuhl noch ein Wehrmachts-Offizier gesessen, ebenfalls zu einer Tasse Kaffee.

Eine neue Zeit beginnt, hat begonnen.


Erst 1952 wird die Johannisbrücke wieder aufgebaut.






Sinnloses Inferno




Immer wieder Kämpfe

Das Dröhnen der Panzerketten ist meilenweit zu hören. Dorf für Dorf, Meter für Meter tastet sich die 7. US-Armee in Richtung Süden. Nach der Besetzung Münchens erwartet die vorrückenden Soldaten kaum Widerstand. Am 30. April 1945 erreichen die ersten Truppen Wolfratshausen, das westliche Isar-Ufer wird besetzt.

Als die US-Armee über Dietramszell nach Bad Tölz vorstoßen will, flammen überraschend vereinzelte Kämpfe auf. Panzer werden von SS-Truppen angegriffen, es kommt zu Gefechten.

Die eigentliche Tragödie steht aber steht noch bevor - die Schlacht um Thankirchen. Weil die SS das Dorf um jeden Preis verteidigen möchte, beginnt am 1. Mai ein Feuersturm. In stundenlangem Beschuss wird der Ort fast vollständig zerstört.

Dienstag, 1. Mai 1945, 4 Uhr morgens: Im Haus des Thankirchner Architekten Fritz Baer poltern Landser-Stiefel über die Treppe, hektisch werden Schreibstube und Nachrichtenzentrale geräumt. Der Stab einer Nachrichtenkompanie, die erst am Vortag in dem Haus Quartier bezogen hatte, bricht in großer Eile auf.




7. US-Armee rückt an

Eben hatte ein Melder die Nachricht gebracht, französische Truppen hätten Bichl und Weilheim erreicht, von Wolfratshausen nähere sich die 7. US-Armee. In der Morgendämmerung rückt die Kompanie ab, mischt sich in den endlosen Zug deutscher Soldaten, die auf der Humbacher Straße über Dietramszell in Richtung Süden ziehen. Es herrscht starkes Schneetreiben, dichter Nebel verhängt die Sicht.

Fritz Baer war im Winter zum Volkssturmführer ausgebildet worden. Während die Alliierten immer näher rücken, rüstet sich Baer mit einem kleinen Aufgebot von Volkssturm-Männern für den Widerstand. Panzersperren werden angelegt, in Einöd, an der Weihermühle und südlich der Tattenkofener Brücke.

Ein sinnloses Unterfangen - dessen ist sich jeder bewusst. "Es geht der Witz um, die Amerikaner bräuchten eine Stunde und eine Minute zum Durchfahren der Sperren", erinnert sich Baer. "Eine Stunde zum Lachen und eine Minute zum Durchfahren."


Thankirchen wurde bei dem sinnlosen Rückzugsgefecht der SS weitgehend zerstört.               





Guderian in Dietramszell?

Am Morgen des 1. Mai, eine Nachhut der Nachrichtenkompanie hatte Thankirchen eben verlassen, erreicht erneut eine Gruppe Uniformierter das Dorf - wieder sind es nicht Amerikaner oder Franzosen, sondern die SS. Die Nachricht ihres Eintreffens verbreitet Angst und Schrecken, lassen die Gesichter der Soldaten die bevorstehende Katastrophe auch kaum erahnen.

"Das waren junge Kerle von 18 Jahren, abgerissen, übermüdet, zerlumpt und halb verhungert", erinnert sich Fritz Baer. Das SS-Kommando gehört zu einem Bataillon, das im nahen Leismühl Quartier bezogen hat. Sein Auftrag ist es, den  Vormarsch der Alliierten zu verzögern, um dem flüchtenden deutschen Heer den Rücken freizuhalten.

Gleichzeitig macht das Gerücht die Runde, Vertreter des Führerhauptquartiers und ein hoher Stab des von Hitler beurlaubten Generalstabschefs Guderian würden in Dietramszell erwartet.




Baumsperren bei Thankirchen

Volkssturmführer Baer erhält den Befehl, in den nördlichen Wäldern vor Thankirchen Baumsperren anlegen zu lassen. Stämme an der Straße sollten mit Äxten eingekerbt und später umgelegt werden. Für die Arbeiten finden sich kaum Freiwillige.

Als Baer dies einem SS-Untersturmführer meldet, wird er angebrüllt: "In fünf Minuten sind die Leute beisammen oder Sie hängen!" Sofort machen sich acht Männer an die Arbeit.

Die Bevölkerung hat für die Kampfpläne der SS kein Verständnis, duldet sie jedoch stillschweigend. Denn: Wer  widerspricht, wird erschossen. Die 90 Bürger ziehen sich noch am Vormittag des 1. Mai in einen nahen Stollen zurück, der als Luftschutzkeller dient.

Unterdessen bereitet sich die SS in Thankirchen mit einem großen Waffen-Arsenal auf den Kampf vor: Schützenlöcher werden ausgehoben, Granatwerfer und Panzerabwehr-Kanonen in Stellung gebracht. Spähwagen erkunden die Umgebung, ein "Panzervernichtungstrupp" setzt sich in Marsch.

Während sich Fritz Baer mittags am Herd Kartoffeln kocht, setzt im Nordwesten Thankirchens starkes Gewehrfeuer ein,
auch Artillerie ist zu hören. Die SS hatte den sinnlosen Widerstand eröffnet, als amerikanische Truppen Humbach erreichten, vor dem Gasthaus stoppten und einige GIs Feuer für Zigaretten erbaten. Sie erhielten Feuer - aus den Gewehren der SS.

Ein Soldat bricht tödlich getroffen zusammen. Die Panzer nehmen das Dorf mit Brandgranaten unter Beschuss, vier Gebäude brennen ab. Um nicht über die Feuerwehrschläuche zu fahren, warten die Amerikaner das Ende der Löscharbeiten ab. Die US-Truppen sind irritiert. "Nach 40 Kilometer Vormarsch war dies der erste Widerstand, auf den wir stießen", erinnert sich später ein Major.




SS feuert aus allen Rohren

Als die US-Panzer nach Thankirchen rollen, wird der feindliche Beschuss immer heftiger. Die SS feuert aus allen Rohren, Panzerfäuste krachen, Granatwerfer orgeln. Ein Tank wird getroffen, wieder stirbt ein US-Soldat. Die amerikanische Vorhut zieht sich in den Wald zurück.

Während sich die SS-Offiziere schon über den Sieg freuen, wird der Ort unbemerkt umzingelt. Eine halbe Stunde herrscht
Ruhe vor dem Sturm, dann setzt ein verheerendes Stahlgewitter ein.

Über eine Stunde lang feuern amerikanische Panzer aus allen Richtungen in den Ortskern, im Sekundentakt detonieren Granaten und Mörser. Ununterbrochen knattern MG-Salven, die Einschläge schwerer Artillerie lassen den Boden erzittern.

Als die SS während des Infernos bemerkt, dass Thankirchen irrtümlich auch von eigenen Stellungen unter Beschuss genommen wird, entschließen sich die Offiziere zum Rückzug. "Wir kommen wieder, sobald das eigene Feuer aufhört", sagt ein Unteroffizier und verabschiedet sich von Volkssturmführer Fritz Baer, der während des Beschusses im Keller seines Hauses vor den kalten Mittags-Kartoffeln sitzt.

Als der Granathagel nachlässt, sieht Baer das Ausmaß der Zerstörung. Thankirchen ist nahezu dem Erdboden gleich gemacht worden, Höfe und Nebengebäude stehen in Flammen, brennende Dachstühle krachen nieder. Ein Wagen der SS hat Feuer gefangen, Munition explodiert. Das Vieh ist verbrannt oder irrt apathisch durch die Trümmer. Alle Bürger aber haben die Schlacht überlebt, auf deutscher Seite gibt es keine Toten und Verwundeten.

Fassungslos steht Baer mit einem Landwirt vor den flackernden Ruinen, als ein Soldat um die Ecke kommt. "Da sind sie ja schon, die Sauhammel", sagt der Bauer und meint die SS.

Doch der Mann ist Amerikaner. Die SS hatte in Panik ihren Bataillonsstab aufgelöst und war geflüchtet, unter anderem auf zwei Traktoren, die aus Thankirchner Höfen gestohlen und später mit leeren Tanks am Tegernsee gefunden wurden.


Dieses Fresko von Fritz Baer erinnert an die Zerstörung von Thankirchen.



Völlig zerstörte Bauernhöfe

Erst am Abend, als die letzten Waffen verstummen, kommt die Bevölkerung aus dem Luftschutzkeller, darunter auch der damals achtjährige Paul Kranz. Weinend steht die Familie vor ihrem zerstörten Hof.

"Dieses Bild werde ich nie vergessen", sagt Kranz, "wir hatten alles verloren." Nur eine Madonnen-Statue war unversehrt geblieben, und mit ihr das Bildnis eines weinenden Engels. Das lächelnde Gegenstück verbrannte.

Die Amerikaner quartieren die obdachlos gewordenen Bürger in der Wohnstube des Raßhofer-Anwesens ein, das im Schutz der ebenfalls getroffenen Kirche nahezu unbeschädigt geblieben war. Über die Männer, Frauen und Kinder, die sich bei Kerzenschein in der Stube drängen, wird eine eintägige Ausgangssperre verhängt. Die Thankirchner empfinden diese Anordnung als Demütigung, zu retten aber wäre ohnehin nichts mehr gewesen.

Autor: Holger Eichele






Die Fahne heraus





Entwarnung bei Kerzenschein

Drei Dinge sind es, die sich dem Deininger Peter Bauer - zum Kriegsende ein Bub von sechs Jahren - in den letzten Apriltagen 1945 eingeprägt haben: "Zuerst war es der Tage dauernde Rückzug der Wehrmacht, dann der Elendszug der KZ-Häftlinge aus Dachau, und anschließend kamen die amerikanischen Panzer."

Peter Bauers Elternhaus liegt an der Einmündung der Ergertshauser Straße in die Staatsstraße 2072, südlich von Deining.
"Aufgrund unserer Einzellage bekam ich wenig Dorf- und noch weniger vom Weltgeschehen mit. Aber zum Kriegsende spielte sich vieles vor unserem Haus an der Durchgangsstraße nach Süden ab."

Peter Bauer erlebt den Krieg als "Halbwaise". 14 Tage nach seiner Geburt im April 1939 muss der Vater zum Wehrdienst einrücken. In Erinnerung bleibt Bauer vor allem der "Luftkrieg":  "Abends mussten wir die Fenster verdunkeln und bei Fliegeralarm in einen Bunker beim Nachbarn flüchten und dort beim Schein einer Kerze auf die Entwarnung warten."

Als Peter Bauer vier Jahre alt ist, kommt doch wieder ein Mann auf den Hof: Max, ein französischer Kriegsgefangener. Er wird für den Buben eine Art Ersatzvater. Gemeinsam sammeln sie in der Notzeit Schnecken und kochen sie - und der Franzose passt gut auf den kleinen Peter auf:

"Ich war mit Max auf dem Feld hinter unserem Hof. Wir hörten von weitem ein Flugzeug. Erst als es im Tiefflug direkt auf uns zukam, wurde Max die Gefahr bewusst. Er klemmte mich unter den Arm und rannte, so schnell er konnte, zu einer schützenden Feldhecke."

Wie gut das Verhältnis mit dem Franzosen ist, zeigt sich später, als Max nach der Befreiung nicht gleich nach Hause fährt,
weil er noch die Heimkehr von Vater Bauer abwarten will. Aber der kommt erst viel später, im November 1946, aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.




Kriegsgefangene neben Schülern

Auch auf anderen Deininger Höfen leben Kriegsgefangene. Der Gemeinde ist ein Arbeitskommando von 20 Franzosen zugewiesen. Sie wohnen mehr schlecht als recht in der ehemaligen Lehrerwohnung im Schulhaus. Im Obergeschoss werden weiterhin Kinder unterrichtet.

Vom ehemaligen, inzwischen verstorbenen Schulleiter Ludwig Laber weiß Peter Bauer (im Bild links, 1995), dass der Schulbetrieb dadurch nicht gestört wurde. Die Deininger kommen mit "ihren" Franzosen gut aus - ebenso wie umgekehrt: Als die Amerikaner in den Ort einziehen, gibt es keine Klagen von den früheren Gefangenen.


Im Herbst 1944 taucht ein Trupp Ungarn auf, dem Vernehmen nach sogenannte "Pfeilkreuzler" - ungarische Faschisten, die nach der russischen Besetzung des Landes mit ihren Familien geflüchtet waren. Es handelt sich dabei um Direktoren und Ärzte aus der besseren Budapester Gesellschaft.


Auf Anordnung der NSDAP muss der Bürgermeister für sie den Schulsaal räumen. Der Unterricht wird ins Nebenzimmer des Gasthofs Post verlegt. Ein Teil der Ungarn lebt auch in der Ortschaft Aumühle.


Die Amerikaner wissen beim Einmarsch über sie Bescheid: Sie bekommen (wie zuvor unter den Nazis) Sonderbehandlung. Einige der ungarischen Ärzte dürfen sogar im Krankenhaus Wolfratshausen arbeiten.





Erinnerung an den Todesmarsch

Tief eingeprägt hat sich bei dem damals sechsjährigen Peter der Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Dachau. "So lange ich lebe, bleibt mir der Elendszug im Gedächtnis. Ich sah viele Häftlinge, die auf der Wiese neben der Straße auf Händen und Füßen daher krochen und Gras aßen, um ihren Hunger zu stillen.

Meine Mutter eilte ins Haus und verteilte Milch und Brot. Das Begleitpersonal drohte meiner Mutter mit Erschießen,
wenn sie sich nochmals blicken ließe. Mit Schrecken denke ich heute noch an die Brutalität der Bewacher. Als einige der Erschöpften nicht reagierten, sprangen sie mit ihren schweren Stiefeln auf die Hilflosen."

Peter Bauer weiß auch Beispiele von Zivilcourage der Deininger: "Zwei KZ-Häftlinge hatten sich vom Zug abgesetzt und Zuflucht in einem Einödhof südlich von Deining gesucht. Sie wurden im Stadel versteckt und der Bauer ließ ihnen Essen zukommen.

Die im Anwesen stationierten SS-Offiziere schöpften Verdacht und wollten nachschauen. Der Bauer wusste, dass es um Leben und Tod ging. Er holte seine Pistole, stürmte in die Wohnstube, verlangte von den überraschten Offizieren ihre Waffen und forderte sie auf, sofort zu verschwinden. Das taten sie dann auch."

Eine andere Deiningerin stellt den vorbeiziehenden KZ-Häftlingen Essen hin. Soldaten beobachten sie dabei und fragen, ob sie Hitler-Gegnerin sei. Darauf stehe die Todesstrafe.

Kurz darauf findet die Frau in einem Stadel einen erschöpften Häftling liegen. Er bleibt noch drei Wochen unerkannt auf dem Hof - verpflegt und neu eingekleidet. Als die Frau nach dem amerikanischen Einmarsch von einem Plünderer bedroht wird, verhindert der ehemalige Häftling Schlimmeres.


Ein Panzer unter Daxen in Deining, aber der amerikanischen Luftaufklärung entging nichts.




Panzer unter Daxen

Die im Ort stationierten Soldaten, es sind Feldjäger, haben die Aufgabe, Fahnenflüchtige zu suchen. Dabei wird der 34jährige Josef W. festgenommen und verurteilt. Am 26. April 1945, vier Tage vor dem Ende des Krieges, führen ihn sechs Feldjäger zum Feicht-Holz westlich von Deining. Gegen 18.30 Uhr fallen Schüsse. Erst 1946 wird der Tote in seinen Heimatort im Kreis Schrobenhausen überführt.

Neben den Feldjägern ist in Deining auch eine SS-Einheit mit fünf Panzern stationiert. Die Tanks sind beim Schmie-Anwesen untergestellt und mit Daxen getarnt. Ein weiterer Panzer steht am Straßer-Anwesen unter einem Ahornbaum.

Amerikanische Tiefflieger entdecken ihn und schießen ihn in Brand. Die Deininger haben während des Krieges immer wieder Angst, bombardiert zu werden, weil sich am westlichen Ortsrand auch eine Flak-Stellung befindet. Mit drei Suchscheinwerfern werden dort die feindlichen Bomber angepeilt.

Auch in Deining wird zum Ende des Krieges ein Volkssturm aufgestellt - die Bewaffnung ist lausig: "Geübt wurde mit holz gedrechselten Granaten. Die Männer des Volkssturmes muss ten Gräben neben der Staatsstraße ausheben und Material für Straßensperren organisieren. Es wurde mit wenig Begeisterung gehandelt, denn fast niemand glaubte noch, damit die Panzer der Amerikaner aufhalten zu können."




Schüsse auf den Kirchturm

Feldjäger und SS flüchten am 30. April. Als aber der Mesner Johann Disl mit Ministranten am 1. Mai auf dem Kirchturm die weiße Fahne hissen will, wird noch einmal in Richtung Turm geschossen. Der Postwirt Josef Hörmann indes fährt am Vormittag des 1. Mai auf dem Fahrrad mit der weißen Fahne in der Hand den Amerikanern entgegen.

Dann kommen die Sieger. Peter Bauer: "Schon von weitem hörten wir das Brummen und Rauschen der schweren Kettenfahrzeuge. Max eilte zum Balkon hinauf, um die weiße Fahne hinauszuhängen. Da wurde auf unser Haus und ebenso auf fliehende deutsche Soldaten geschossen. Unser Franzose kam zitternd mit der Fahne wieder in den Flur zurück.

Wir bekamen es mit der Angst zu tun und zogen uns in die hinteren Zimmer zurück. Erst als die amerikanischen Panzer an unserem Haus vorbei fuhren, traute sich Max wieder hinaus und hängte die Fahne an den Balkon. Als sich alles beruhigt hatte, traute ich mich ins Freie.' Als gerade Sechsjähriger hatte ich das Gefühl, dass etwas sehr Bedeutendes passiert war."

Mitarbeit: Hans Rieger








Es ist vorbei





Schäftlarn: Eine neue Brücke

In Kloster Schäftlarn, tief unten im Isartal, ist nur der Geschützdonner zu hören. Die Amerikaner rücken an, immer wieder beschossen von der sich zurückziehenden SS. Es ist der 30. April 1945, morgens 7 Uhr.

Der Kaufmann Ittlinger hißt am Eingang des Dorfes Hohenschäftlarn eine weiße Fahne. Aber sofort ist die SS da, Ittlinger holt die Fahne wieder ein, ihm droht die Erschießung. Der Frontlärm rückt näher.

Die Einschläge der Granaten sind vom Kloster aus deutlich zu sehen - am östlichen Isarufer, dort wo sich schon Monate zuvor 600 deutsche Soldaten im Wald eingenistet haben. Sie sollen den strategisch wichtigen Isarübergang verteidigen.
Gegen 17.35 Uhr an diesem Tag sprengt die SS auf ihrem Rückzug die alte Holzbrücke.

Eine halbe Stunde später sind die Amerikaner da, mit einer unverhältnismäßig großen Streitmacht: Sechs schwere Panzer, zehn kleine, Lastwagen und einige erbeutete deutsche Personenwagen. Die Schäftlarner Bürger schwenken zur Begrüßung weiße Tücher.

Die Amerikaner rücken zur Isar vor. An der Brückenruine gibt es eine kleine Schießerei. Verletzt wird niemand. Die im Kloster lebenden Kriegsgefangenen bekommen den Auftrag, die Häuser nach Waffen zu durchsuchen. Die eigentlichen Klosterräume bleiben allerdings unbehelligt. Einige untergetauchte deutsche Soldaten werden gefangen genommen.

Die Nacht zum 1. Mai verläuft sehr unruhig. Immer wieder wird vom Klosterhof aus über die Isar geschossen. Am frühen Morgen versuchen die Amerikaner, die Brücke wieder befahrbar zu machen. Soldaten werden mit einem Hängeseil ans andere Isarufer gebracht und suchen dort nach SS-Leuten.

Am nächsten Morgen ist der ganze Ort voll mit amerikanischem Militär, mit Panzern, technischem Gerät, Transportern.
Neben der zerstörten Brücke wird in kürzester Zeit eine Pontonbrücke errichtet. Ab 10 Uhr überqueren die Amerikaner die Isar, die kämpfenden Einheiten verlassen das Klosterdorf wieder.




Münsing: Werwölfe gegen Jabos

Dramatisch ist die Lage in Münsing vor dem amerikanischen Einmarsch. Am 30. April besetzt eine Einheit der SS-Division "Götz v. Berlichingen" den Ort und errichtet im Kirchturm einen Beobachtungsposten.

Von dort haben die Soldaten freie Sicht über das Ostufer des Würmsees (heute: Starnberger See), von wo die Amerikaner aus Richtung Norden (Starnberg) und Süden (Seeshaupt) erwartet werden. Immer wieder überfliegen amerikanische Jagdbomber den Ort, der zur Verteidigung bereit gemacht wird.

16-, 17jährige "Werwolf-Jungen", die von sonstwo gekommen sind, schießen mit Gewehren auf die Flugzeuge. Die Münsinger bekommen es mit der Angst zu tun: Wird der Ort nun vielleicht noch von den Amerikanern bombadiert?

Der Pfarrer wendet sich an die verantwortlichen Offiziere. Den Buben wird daraufhin das Herumballern verboten. Auch ein Flugabwehr-Geschütz, eine Flak, zieht aus Münsing wieder ab.

Plötzlich werden die Amerikaner vom Kirchturm aus entdeckt. Sie marschieren aus Richtung Seeshaupt nordwärts. Doch da geschieht etwas völlig Unerwartetes. Die US-Truppen drehen ab, hin zum westlichen Seeufer. Die SS fürchtet eine List, sie zieht sich aus Münsing zurück.

Erst am nächsten Tag, dem 1. Mai, rückt eine amerikanische Vorhut in das Dorf ein - ohne Panzer. Tags darauf kommen auch die Tanks. Kampfhandlungen finden auf dem Gemeindegebiet nicht statt.




Königsdorf und Icking: Unblutig

Unblutig verläuft der amerikanische Einmarsch in Icking und in Königsdorf. Am späten Nachmittag des 30. April ist am Ortseingang von Irschenhausen der erste amerikanische Panzer zu sehen. Eine größere Zahl deutscher Soldaten, die den US-Truppen mit der weißen Fahne in der Hand entgegengeht, wird sofort gefangen genommen.

Im Ortsteil Holzen rücken sechs Panzer und eine ganze Lastwagen-Kolonne ein. Aber die deutsche Einheit, die auf dem Gut stationiert war, hat sich längst aufgelöst und abgesetzt.

Kampflos übergeben wird am 1. Mai auch Königsdorf. Josef Blöckner fährt, die weiße Fahne schwingend,
auf einem Fahrrad den Amerikanern entgegen.

Der Krieg ist aus.




Dietramszell: Angst vor Plünderern

Eine Woche, bevor die US-Truppen die Dietramszeller Gemeindegrenzen überschreiten, wird die Bevölkerung aufgerufen, alle Wertsachen in Sicherheit zu bringen. Schmuck, Möbel, Lebensmittel und Kleider werden vergraben und versteckt.

"Auch Schnaps und Wein müssen verschwinden, weil besoffene Soldaten so gefährlich sind wie schießende", erinnert sich Fritz Baer, einst Volkssturmführer von Thankirchen. Im Kloster Dietramszell wird versucht, 40.000 Liter Wein einer Münchner Firma einzumauern.

Als die US-Truppen kommen, bleiben Plünderungen jedoch die Ausnahme - anders verhalten sich indes die eigenen Leute, die zurückziehenden SS-Einheiten. Maschinen, Autos und Fahrräder verschwinden, Lebensmittel und Wertsachen.
Hitlers besiegte Elite-Truppe bedient sich nach Belieben.







Dorf im Krieg





Keine Bomben, genug zu essen

Erst als der große Weltenbrand in den letzten Zügen liegt, wird er auch in den Dörfern hautnah erlebt. Was bis dahin nur durch wenige Volksempfänger, Zeitungen oder Andeutungen von Fronturlaubern an die Stammtische gelangt, steht in den letzten Kriegsmonaten leibhaftig vor den Haustüren.

Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs nimmt Gestalt an. Fremde Soldaten, die Furcht vor Rachegelüsten der Sieger,
blanke Angst. Und doch, die Daheimgebliebenen können das wahre Ausmaß des Terrors in diesem fünfeinhalbjährigen Völkermorden nur erahnen. Lange ist der Krieg weit weg gewesen. Keine Bomben, kaum Wochenschau, genug zu essen - Alltag, eben.

Baiernrain ist so ein Dorf: Ein halbes Dutzend Bauernhöfe und eine Trockenmilchfabrik. In der Wirtschaft spielt sich das Dorfgeschehen ab, die Wirtin heißt Liesl Manhart, damals 40 Jahre alt. Seit Mitte der 30er Jahre, erzählt sie, werden in der Gaststätte verstärkt politische Reden geschwungen. Zentrumsleute, wenige Sozialdemokraten, aber immer mehr Nazis gehen aus und ein.

Unbehaglich ist der Wirtin zumute, als Vertreter der lokalen NS-Hochburgen ("Das war die Ecke Dietramszell, Reuth, Humbach, Harmating - jeder hat des gewusst") ein Schild mit der Aufschrift "Offizielles Parteilokal der NSDAP" neben den Eingang nageln - doch sie und ihr Mann Paul lassen es zu. Später tritt er sogar in die Partei ein. "Sie haben gesagt, ,unser Wirt, der muss."

Als Ortsgruppenleiter fungiert der Hauptlehrer, der in der Schule auf der anderen Straßenseite schon die Kinder
mit braunem Gedankengut infiltriert. Seine Frau macht er zur Frauenscharführerin. Als sie auf Lehrgang fort muss,
soll die Wirtin die Buchführung übernehmen. Doch die Liesl verweigert die Unterschrift, offiziell will sie sauber bleiben. "Wenn ich jetzt unterschreibe, das habe ich gewusst, dann haben sie mich später am Schlawittl."


Das Gasthaus Baiernrain in den 1930er Jahren.    





Baiernrainer ziehen in den Krieg

Der Krieg beginnt, die Wehrmacht überfällt Polen, Benelux und Frankreich. In den Städten herrscht Siegesstimmung, in Baiernrain Alltag. Erst als Hitlers Größenwahn deutsche Soldaten nach Russland treibt, braucht der Führer verstärkt Baiernrainer Soldaten. Auch Wirtssohn Paul jun. muss einrücken.

Nachbardörfer melden erste Gefallene, der Krieg kommt langsam näher. Die Industrie in den Städten konzentriert alle Kräfte auf die Rüstung; die Bauern bekommen immer schlechteren Kunstdünger, den das Vieh schließlich gar nicht mehr verträgt.

"Auf der Weide hat's einer Kuh nach der anderen den Bauch aufgetrieben", erzählt die Wirtin. Als gelernter Metzger muss ihr Mann mehr und mehr verendende Tiere notschlachten.

Den Bombenterror über München erlebt man in Baiernrain als fernes Schauspiel. Kinder zählen die Flieger, bewundern die Formationen und das Leuchten der "Christbäume", der Markierungslichter der angreifenden Bombengeschwader.

Doch die Angriffe werden heftiger, selbst in Baiernrain lassen die Detonationen von München die Scheiben erzittern. Bei Arget schlägt ein Notabwurf ein. "In den Krater würde ein Haus hineinpassen", erzählen die Leute. Was die Bomber wirklich können, berichten im Dorf 36 Frauen aus Düsseldorf, die nach Baiernrain "landverschickt" wurden.

Als ein "Halifax-Bomber" der britischen Royal Airforce brennend in ein Waldstück bei Otterfing stürzt, überwiegt an den Stammtischen dennoch das Mitleid mit der gefallenen Besatzung. Der Schrecken aus der Luft wirkt halb so groß.





Paul geht in Deckung

Selbst Berichte der Frontsoldaten auf Urlaub lassen in Baiernrain keine größere Unruhe aufkommen. Im Sommer 1944 rauscht abermals ein angeschossener Bomber über das Dorf. Wirtssohn Paul darf gerade einige Tage von der Front in der Heimat verschnaufen, er steht in einer Gruppe am Feuerwehrhaus. Als er das Brummen hört, wirft er sich als einziger instinktiv in Deckung - und erntet Lachen und Spott von den Daheimgebliebenen.

Doch der Krieg rückt näher. Erste Wehrmachts-Verbände fluten im Rückzug durch den Ort, einige biwakieren auf den (heute bebauten) Kastenmüller-Wiesen. Eine Gruppe von Luftwaffenoffizieren hat im Wirtshaus Quartier genommen, an ihrem Funkgerät warten sie auf die Kapitulationserklärung. Ende April setzen sie sich ins Chiemgau ab.

Als die Wehrmacht verschwunden ist, sehen die Zwangsarbeiter auf den Baiernrainer Bauernhöfen - sie kommen aus Serbien, Polen und Frankreich - ihre Chance gekommen. "Amerika ist Sieger - Alles gehört jetzt uns", verkünden sie der Wirtin und plündern deren Bestände.

Alle zwei Tage holen sie eine Kuh aus Baiernrainer Ställen, der Wirt muss sie schlachten, er darf nur die Innereien behalten - "aber warte, wenn erst die amerikanischen Neger kommen", drohen sie. Die Baiernrainer haben Angst, vielleicht zum ersten Mal in diesem Krieg.


Geselliges Miteinander in Kriegszeiten: Die Baiernrainer Wirtsleute Liesl (3. v. re.)
und Paul Mangart (2. v. re.) mit Mitarbeiterinnen und Soldaten.





Ostersonntag kommt die Army

Die US-Army kommt am Ostersonntag aus Linden. Farbige Soldaten freilich sind keine dabei. Man treibt die Bauern
aus ihren Höfen hinauf zur Trockenmilchfabrik, nur zur Stallarbeit dürfen sie heim. Die Häuser werden gründlich durchsucht, beim Kramer wird eine Feldküche aufgebaut.

Kiloweise schleppen die GIs Geräuchertes aus den Kellern, wagen aber nicht, es zu essen - aus Angst, vergiftet zu werden.
Langsam beginnt die Wirtin, die Besatzer als Befreier zu sehen - und als Menschen. Oben in Humbach, erzählt man sich,
sollen einige GIs in tiefer Andacht am Totenbett eines an TBC gestorbenen Buben gebetet haben.

Schließlich kommen Heimatvertriebene, meist Oberschlesier, nach Baiernrain. Knapp hundert Personen schlafen im Saal,
es wimmelt von Läusen und Flöhen. "Alle zwei Wochen", erzählt die Wirtin, "haben wir uns Spiritus auf den Kopf  geschüttet."

Auch das Essen wird knapp. Wenn gar nichts mehr da ist, geht die Wirtin selbst in die umliegenden Wälder und sammelt Schwammerl. "Da hatte es früher viel gegeben. Aber es sind dann so viele Hamsterer aus München gekommen, heute wächst da kaum mehr was."

Autor: Andreas Höger







Plötzlich Frieden





Winibald wieder Bürgermeister

Am 1. Mai hält die amerikanische Besatzungsmacht Einzug im Markt: Nach den Kampftruppen kommen die Bürokraten. Plötzlich ist Frieden - es gibt keine Bomber mehr, die Angst und Schrecken erzeugend über Wolfratshausen hinweg donnern.

Die Sirenen heulen nicht mehr und treiben die Menschen in die Luftschutzkeller und auch die Nazis sind weg - untergetaucht oder verhaftet, in jedem Fall aus dem Öffentlichen Dienst entlassen und aus dem öffentlichen Leben verschwunden.


Zwar ist man in diesen ersten Nachkriegswochen von demokratischen Verhältnissen weit entfernt, aber die neuen Herren in Wolfratshausen setzen auf bewährte Kräfte: Als Bürgermeister wird Hans Winibald eingesetzt, der dieses Amt schon bis 1933 innehatte.


Zur Seite steht ihm in der Verwaltung der frühere Gemeindesekretär Franz Geiger. Der einstige SPD-Gemeinderat, der von den Nazis 1933 für zwei Wochen in "Schutzhaft" genommen worden war

und anschließend zwangsweise in Pension ging, ist politisch völlig unverdächtig.


Die Aufgabe der beiden, das Gemeinwesen Wolfratshausen wieder in Schwung zu bringen,  erscheint indes unlösbar - angesichts von Hunger  und Not. Und das durch die Vertreibung der Funktionsträger in den Behörden ausgelöste Chaos  macht die Situation noch schlimmer.




Häuser werden konfisziert

Das "Military Governement of America" versucht nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung neue Strukturen aufzubauen - mit allen Mitteln. Eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 19 und 6 Uhr wird verhängt, lediglich Bauern dürfen früher aufs Feld - mit Sondergenehmigung.

Die Militärregierung braucht Platz: Für die Soldaten werden zahlreiche Häuser beschlagnahmt, die Bewohner müssen schauen, wo sie unterkommen - und zwar "as soon as possible", so schnell wie möglich. Manchmal bleibt ganzen Familien in ihren eigenen Häusern lediglich ein Raum, der Rest ist "off limits", Betreten ist verboten.

Der Dorfener Anton Kierein erinnert sich an die Besatzer im Elternhaus: "Da es in den ersten Maitagen außerordentlich kühl und unfreundlich war, feuerten die Amerikaner ein Scheit nach dem anderen ein - wie verrückt."

Captain Carl H. Bischoff trägt mit sechs weiteren amerikanischen Offizieren und einer ganzen Reihe "amerikanischer Büromädel" (so erinnert sich Anton Geiger) die Verantwortung. Sie beziehen Quartier im Amtsgericht (heute: Heimatmuseum).

Auch Bürgermeister Winibald ist den Militärs unterstellt. Er kommt gut aus mit den Amerikanern. Nochmals Anton Geiger: "Eigentlich waren unsere Besatzer recht großzügig. Mit der Zeit hat man sich sogar angefreundet.
Der erste Bürgermeister Hans Winibald fand bei den Amerikanern immer ein offenes Ohr."


Ihr Hauptquartier schlug die Besatzungsmacht im ehemaligen Schulhaus am Obermarkt auf.




Amis wissen genau Bescheid


Und noch dazu kennen sich die Militärs in Wolfratshausen gut aus. Ludwig Scheitthauer, nach der Flucht aus Deutschland in die US-Army eingetreten und mit ihr in sein Vaterland zurückgekehrt:

"Wir haben seit 1944, seit einer Schulung in London, über Wolfratshausen genau Bescheid gewusst. Wir kannten die Straßennamen, die Namen der Parteigenossen und waren auch über alle anderen Dinge gut informiert."

Trotzdem ist das Misstrauen der Besatzungsmacht groß: Wer war Nazi, wer war keiner? Diese Frage zu klären
ist indes nicht einfach. Die braunen Machthaber hatten ihre Niederlage ebenfalls gründlich vorbereitet: Am 25. April 1945, um 15 Uhr erging per Funk ein Befehl des oberbayerischen Regierungspräsidenten Dr. Schenpel an alle Gemeinden, sofort mit der Aktenverbrennung zu beginnen: "Alles, was dem Feind nützlich sein könnte, ist zu vernichten" - und zwar Blatt für Blatt.

In Wolfratshausen wird diese Anordnung gründlich befolgt. Im Hof des Rathauses errichten die Nazis einen "Scheiterhaufen" und verbrennen alle wichtigen Unterlagen aus zwölf Jahren NS-Regime - zum Leidwesen nicht nur der heutigen Archivare und Zeitgeschichtler, sondern auch der amerikanischen Besatzer. Die mussten nämlich den Aufbau der Nazi-Organisationen mühselig rekonstruieren.




Explosion mit Todesfolge

Drakonische Strafen erwarten all jene, die sich nicht an die Anordnungen der Amerikaner halten. Eine der ersten ist der Befehl, sämtliche Waffen, auch solche, die sich nur zur Jagd eignen, abzuliefern. Wer nicht gehorcht und erwischt wird, muss mit der Todesstrafe rechnen.

Die Waffen werden auf der Straße ausgebreitet. Anschließend überrollt sie ein Panzer - die neue Macht statutiert ein Exempel. Wehrmachtsgut wird vor dem Abtransport oder der sofortigen Vernichtung in Weidach gesammelt.

Dort passiert am 23. Juni 1945 ein schreckliches Unglück. Drei Buben schleichen sich auf den bewachten Sammelplatz. Beim Versuch, eine Flugabwehr-Granate zu öffnen, um an das Pulver zu kommen, gibt es eine Explosion. Ein 14jähriger erleidet einen Lungenriss und einen Schädelbruch. Er verblutet noch am Unfallort. Seine beiden Freunde kommen mit leichten Blesuren und mit dem Schrecken davon.

Etliche Waffen werden auch einfach in die Loisach geworfen. Noch Jahre später machen sich abenteuerlustige Jugendliche einen Spaß und tauchen das Kriegszeug aus dem Fluss - zum Spielen.


Wer seine Waffen nicht abliefert, muss mit der Todesstrafe rechnen.




Ohne "Päss" geht nix

An allen Ortseingängen stehen amerikanische Soldaten und kontrollieren die Passanten, ebenso auf Brücken,
an Straßenkreuzungen und wichtigen Plätzen. "Päss", dieses Kommando kennt jeder. Wer seinen Ausweis nicht dabei hat, wird sofort abgeführt.

So mancher Amerikaner übertreibt's dabei: Eine Kindergärtnerin in Dorfen wird an ihrem eigenen Gartenzaun verhaftet, weil sie ihren Passierschein nicht zeigen kann.

Zwei Frauen in Icking passiert dasselbe, nur wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernt. Obwohl sie darum bitten, ihre Ausweise holen zu dürfen, müssen sie in den Militärjeep einsteigen. Erst einige Stunden später werden die Frauen wieder freigelassen, mit der Auflage, sich am nächsten Tag in der Kommandatur zu melden. Kontrolliert werden sogar Kirchgänger.



Kaugummi, Zigarre und Kinderliebe

Und doch hinterlassen die Besatzer in Wolfratshausen einen überwiegend freundlichen Eindruck. Die Soldaten entsprechen so gar nicht den deutschen Vorstellungen von Zucht, Ordnung, Drill und Moral. Kaugummi kauend, eine Zigarre im Mund und stets lässig, so stehen sie Posten. Und kinderfreundlich sind sie.

Franz Bäumler, damals 16 Jahre alt, erinnert sich: "Die Soldaten hatten abgepackte Essensrationen für Frühstück, Mittag- und Abendessen. Was übrig geblieben ist, haben wir Kinder und Jugendliche bekommen."

Besonders begehrt sind Weißbrot, Pfannkuchenteig und der Kaffeesatz. "Den Bohnenkaffee - das war ja eine Kostbarkeit - haben wir noch zwei, drei Mal aufgebrüht."

Auch für kleine Handlangerdienste bekommen die Buben und Mädchen Geschenke. Franz Bäumler bügelt einem in der Volksschule stationierten deutsch-amerikanischen Offizier Hemden und Hosen. Dafür gibt es Kaugummi, Schokolade, manchmal auch Zigaretten und Tabak.

Einmal findet der kleine Franz auf der Straße auch eine Banane. Ein Amerikaner hatte sie weggeworfen, weil sie noch grün war. Bäumler heute: "Es war die erste Banane meines Lebens. Ich wusste gar nicht, dass sie gelb sein sollen. Als ich sie aß, war ich deshalb fürchterlich enttäuscht."




Deutsche-amerikanische Annäherung

Auch wenn in der Anfangszeit der Besatzung nähere Kontakte zwischen Amerikanern und Deutschen wegen des "Fraternisierungsverbots" untersagt sind, entwickeln sich viele Beziehungen.

Rund 900 Patienten werden zwischen 1946 und 1950 im Tölzer Krankenhaus wegen Geschlechtskrankheiten behandelt. Es sind fast ausschließlich einheimische Mädchen. Die genannte Statistik weist auch 175 uneheliche Kinder aus. Tanzveranstaltungen, in denen Deutsche und Amerikaner gemeinsam feiern, gibt es schon sehr bald nach dem Zusammenbruch - im Haderbräu spielt die Kapelle Joe Hampl aus Karlsbad: "Wenn die da waren, war der halbe Markt auf den Beinen", erinnert sich eine heute 84jährige Wolfratshauserin.

Ein Mitglied der Joe-Hampl-Kapelle, Toni Siegert, wird später ein angesehener Kapellmeister in Geretsried. Besondere Förderung erfährt die Band trotz ihres etwas fragwürdigen Kürzels (HJ = Hitler-Jugend) von Bürgermeister Hans Winibald, der als Vorsitzender des Sängerkreises und Mitglied des Kirchenchors ein ausgewiesener Musikfreund ist. Entlohnt werden die Musiker übrigens nicht mit (wertloser Reichsmark) sondern mit Bier und Whisky.


Man darf wieder fröhlich sein: Die Joe-Hampl-Kapelle spielt zum Tanz.




Alle Nazis kommen weg

"Alle Regierungsgewalt ist auf die Oberbefehlshaber der Vereinten Nationen übergegangen. Höchste Instanz in unserem Bezirk ist das American Military Governement mit Sitz in Wolfratshausen (Amtsgerichtsgebäude). Seine Befehle und Weisungen sind bindend für jedermann."

Mit dieser Mitteilung werden die Wolfratshauser - etwas verspätet - am 29. September, nach fünf Monaten also, über die neuen Verhältnisse informiert. Der Loisach-Isar-Bote erscheint wieder, herausgegeben als "Amtliches Mitteilungsblatt" vom Landrat des Landkreises Wolfratshausen.

Sechs Offiziere bilden in Wolfratshausen die Militärregierung. In die Zuständigkeit des Bezirkskommandeurs Captain Carl H. Bischoff fallen die Politik, das Unterrichtswesen und die allgemeine Verwaltung. Oberleutnant John F. Kizer obliegt die Justiz, Oberleutnant Reynold J. Kosek und Oberleutnant Jay H. Kelley betreuen das wichtigste Ressort, die Ernährung und das Versorgungswesen. Die Polizeigewalt liegt in den Händen von Oberleutnant Arthur D. Foley. Oberleutnant Jesse L. Ott hat Fragen der Arbeit und des Verkehrs zu regeln.




Lehrer begeht Selbstmord

Die Militärregierung des Bezirks ernennt auch einen Landrat, zwölf Bezirksräte und 37 Bürgermeister. Landrat ist Hans Thiemo, ein Professor aus München. Er wurde nicht mit diesem Namen geboren, ursprünglich hieß er Teufelhart oder auch Selos.

Thiemo hat eine wichtige Funktion, als Mittler zwischen Militärregierung und Landkreis. Zu Bürgermeistern ernennen die Amerikaner vorzugsweise Männer, die während der Nazi-Herrschaft verfolgt waren.

In Weidach ist es zum Beispiel der Sozialdemokrat Fritz Bauereis, ein Parteifreund des Wolfratshauser Gemeindesekretärs Franz Geiger, der wie dieser 1933 inhaftiert worden war.

Alle führenden Mitarbeiter von Behörden, also auch von Vermessungsamt, Notariat und Zollstelle, werden "aus politischen Gründen" entlassen. Selbst die Führung der Sparkasse, die dortigen Kassierer, zwei Postschaffner und ein Beamtenanwärter bei der Bahn müssen den Dienst quittieren.

Aber die amerikanische Säuberung geht noch weiter. Auch 38 Volksschullehrer aus dem Bezirk sind des Dienstes enthoben. Sie müssen bis 1. Oktober 1945 auch ihre Dienstwohnungen räumen. Landrat Thiemo im Amtsblatt: "Die Bürgermeister werden für die Unterbringung der entlassenen Volksschullehrer verantwortlich gemacht."

Der Lehrer Josef N., der in Wolfratshausen einst Organisationsleiter der NSDAP war und deshalb interniert wird, begeht später Selbstmord.

Und doch geht es wieder aufwärts: Am 31. Mai, einen Monat nach Kriegsende, heiraten in Dietramszell Barbara Strauß und Heinrich Horcher.






Der Opfer Rache





24 Stunden Plünderung

Am 1. Mai und am 2. Mai 1945 geht kein Wolfratshauser freiwillig vor die Haustür. Nein, es ist nicht die Angst
vor den amerikanischen Besatzern, die die Leute zurückhält. Es ist die Angst vor Plünderern, es ist die Angst,
nach dem eigentlichen Ende des Krieges noch Hab und Gut, ja sogar das Leben zu verlieren.

Franz Bäumler aus Wolfratshausen erinnert sich: "Im Markt durfte mit Billigung der Militärregierung
24 Stunden lang geplündert werden. Jeder hat sich deshalb in seinem Haus verriegelt."

Tausende von Zwangsarbeitern, die in den Rüstungsfabriken gearbeitet hatten, Kriegsgefangene,
die bei Bauern im Dienst standen, und die KZ-Häftlinge, die auf ihrem "Todesmarsch" südlich von Wolfratshausen befreit wurden - sie sind nun an der Macht. Es herrscht Gesetzlosigkeit, Anarchie, Chaos, Gewalt.




Fleisch ließen sie liegen

Andreas Stumpf, Chef der "Wolfra"-Mosterei, schreibt: "In Wolfratshausen wurde eine Anzahl Kaufläden geplündert. Die Plünderer schlugen erst die Rolläden kaputt und dann die Scheiben ein, hernach stiegen sie in die Läden und nahmen die Waren heraus. Was sie nicht mitnehmen konnten, zertraten sie am Boden oder vernichteten es auf andere Weise."

Die Opfer zwölfjähriger Nazi-Diktatur nehmen Rache an ihren Peinigern, den Deutschen. Allerdings erwischen sie die Falschen, die einfachen Leute in Wolfratshausen.

Noch einmal Stumpf: "In der Molkerei nahmen sie aus den Kühlanlagen Butter, dabei sind sie auf der Butter herum getreten. Andere brachten in der Nähe von Bolzwang das Vieh auf der Weide qualvoll um. Sie schnitten sich Stücke von Fleisch heraus, den größten Teil ließen sie liegen. Die Schäden, welche durch die Plünderer hervorgerufen wurden und die Gefahr, in welcher sich die Einheimischen befanden, war furchtbar."

Allerdings, und auch darüber schreibt Stumpf: "An der Plünderung haben sich nicht nur die Ausländer beteiligt, sondern vereinzelt auch Einheimische."

Nach der Erinnerung einer heute 84jährigen Wolfratshauserin, die zu Kriegsende auf dem elterlichen Bauernhof in der Berggasse lebte, haben sich die Verstöße im Markt gleichwohl in Grenzen gehalten: "Und der Spuk war auch bald vorbei."

Auch Franz Bäumler, der damals wie heute im Untermarkt wohnte, hat als 16jähriger nicht viel mitbekommen. Aber: "Als die Amerikaner die Regierung in die Hand genommen haben, ging's wieder."




"Wohlgenährter KZler"

In etlichen Häusern werden von den neuen Herren die befreiten KZ-Häftlinge einquartiert. Für die Bewohner bedeutet dies zwar oft eine Bedrohung, nicht selten aber auch Schutz. Franz Bäumler: "Zu uns kam ein sehr wohlgenährter KZler. Er hat andere, die plündern wollten, daran gehindert."

Dieser Mann, nach Bäumlers Einschätzung "ein Kapo oder so" wird allerdings selbst gesucht. Als die amerikanische Militärpolizei zwei Tage später bei Bäumlers anrückt, um den Mann festzunehmen, ist er verschwunden. Er läßt zwei große, abgerichtete Hunde zurück, die ehedem im Besitz der SS waren. Die Bäumlers verkaufen sie an Bauern weiter. Anfragen gibt es viele. Die Landwirte wollen sich mit den scharfen Tieren vor Plünderern schützen.

Die amerikanischen Besatzer verhalten sich indes weitgehend korrekt. Der erste Panzer, der am 30. April einrückt, stoppt am Untermarkt vor dem Haus des Fotografen Guggenberger. Ein Soldat steigt aus, betritt den Laden und verlangt Filmmaterial. Guggenbergers Tochter Elisabeth Fagner: "Die Sachen hat er dann auch bezahlt, mit Lebensmitteln."

Plünderungen sind den Besatzern streng untersagt. In einer Bekanntmachung der Militärregierung heißt es, dass Beschlagnahmungen "nur mit schriftlichem Auftrag" durchgeführt werden dürfen - und gegen Quittung. Trotzdem sind die Amerikaner erstmal überfordert damit, die Ordnung wiederherzustellen.




Deutsche Hilfspolizei

Der Gendarmerieposten ist seit dem Einmarsch aufgelöst, zu ihrer eigenen Entlastung setzen die Amerikaner eine deutsche Hilfspolizei ein. Sie wird geführt von einem Pensionär namens Hartl. Die "Ordnungshüter" sind unbewaffnet und gekennzeichnet mit einer weißen Armbinde.

US-Oberleutnant Arthur Foley, zuständig für die öffentliche Ordnung, sieht sich aber sehr bald veranlasst, die "Hipos" (Hilfspolizisten) besser auszustatten. Ludwig Kollmeier wird zum Chef ernannt, er war bis Kriegsende stellvertretender Batallions-Kommandeur der Wolfratshauser  Landesschützen und an der kampflosen Übergabe

des Markts maßgeblich beteiligt.


Die ehemaligen KZ-Häftlinge sind nur für wenige Tage ein Problem. Die meisten werden - sofern sie jüdischen Glaubens sind - im Lager Föhrenwald einquartiert und dort von der  Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, UNRRA, versorgt.


Übergriffe gibt es viel mehr von den ehemaligen Zwangsarbeitern aus Russland, Polen und Frankreich. Wohl dem, der diese Leute vor dem Zusammenbruch gut behandelt hatte. Vielfach ist überliefert, dass in solchen Fällen von ehemaligen Gefangenen Gewalttaten und Plünderungen verhindert werden.


Auch Jakob Mittermeier, 56 Jahre alt, Hausmeister in einem Anwesen in Schlederloh, Gemeinde Dorfen, hatte sich einer russischen Fremdarbeiterin "stets hilfsbereit und entgegenkommend gezeigt", wie in einem Bericht steht. Es hilft ihm nichts.


Als die Frau mit Landsleuten zum Plündern kommt

und Jakob Mittermeier ihnen ohne Argwohn entgegentritt, fallen Schüsse: Der Hausmeister wird in Bauch und Lunge getroffen. Er stirbt tags darauf im Wolfratshauser Krankenhaus.

Die ersten Plünderungen finden übrigens schon Stunden vor dem amerikanischen Einmarsch statt. Es ist der 30. April nachmittags. Die Wehrmacht ist längst abgerückt, die SS versucht noch, den Vormarsch des Gegners mit Brückensprengungen aufzuhalten, da geht durch Wolfratshausen das Gerücht - und es spricht sich in Windeseile herum - in einem Lagerraum der Kunstmühle Eichele in Weidach befinde sich ein großes, unbewachtes Schuhlager.

Schuhe sind zu dieser Zeit absolute Mangelware, darum machen sich viele Leute auf den Weg. Die heute in Duisburg lebende Christine Förster, damals Nachrichtenhelferin in Dorfen, ist auch dabei:

"Zusammen mit den größeren Buben aus dem Dorf ging ich mit einem Leiterwagen runter nach Weidach. Die Schuhe kosteten nichts - nicht einmal Bezugsmarken. Und die Buben probierten und luden das Wagerl voll. Weil es den Buben so Freude machte, liefen sie alle nochmals runter zur Mühle und luden nochmals ein."

Als die Amerikaner, die Stunden später den Markt besetzen, von der Plünderung erfahren, schreiten sie sofort ein: Die Bevölkerung wird per schriftlichem Erlass aufgefordert, die Schuhe unverzüglich wieder zurückzugeben. Aber kaum einer folgt dieser Anordnung.




Gefahr für die Bürger

Den wohl eindruckvollsten Bericht vom Chaos der ersten Tage nach dem Zusammenbruch liefert "Wolfra"-Chef Andreas Stumpf, als Unternehmer begehrte Zielscheibe von Plünderern. Er schreibt:

"Das Schlimmste aber stand noch bevor. Tausende ehemaliger KZ-Häftlinge waren außerhalb Wolfratshausens sich selbst überlassen. Sie kamen in die umliegenden Ortschaften, schlachteten das Vieh und nahmen alles, was sie an Lebensmitteln erwischen konnten, mit. Die ausländischen Häftlinge hatten eine furchtbare Wut auf alles Deutsche (...) Die Deutschen hatten nicht den geringsten Schutz. Die losgelassenen KZler wurden eine immer größere Gefahr für die deutsche Bevölkerung."

Stumpfs Betrieb ist das Ziel einer ganzen Zahl von Plünderern, sowohl Fremdarbeiter als auch Einheimische. Nicht ohne Grund übrigens: Allein im Humplbräu-Keller lagern über 1000 Hektoliter Apfelsaft und 2500 Liter Obstbranntwein.

Schon am 1. Mai wird Stumpf von seinem Vorarbeiter Tränkl zu dem Lager gerufen. 15, später sogar mehr als 100 Leute schleppen Schnaps aus dem Keller. Stumpf wird geschlagen. Er flüchtet und bittet die Amerikaner um Schutz. Ein bewaffneter US-Soldat vertreibt die Plünderer.

Am nächsten Tag bedroht ein anderer Plünderer mit einer Pistole die Familie Stumpf in deren Wohnung. Er stiehlt Lohngelder (13.400 Mark), Kleidung und Papiere.

Wieder sind ehemalige Häftlinge auf Raubzug im Haderbräu-Keller. Sie nehmen Betten, Schuhe und säckeweise Zucker mit.


Beliebtes Ziel von Plünderern: Im Wolfra-Keller lagern Saft und Schnaps.




Er schrie: "Dein Blut"

Emma Stumpf wird am selben Abend in ihrer Wohnung von einem bewaffneten Mann bedroht: "Er schrie: 'Dein Blut'". Andreas Stumpf bittet die Besatzungsmacht erneut um Hilfe.

Der Einbrecher wird vorgeführt "und der (amerikanische) Soldat sagte zu ihm in gebrochenem Deutsch: 'Ich weiß, dass du die Deutschen nicht magst. Ich mag sie auch nicht, aber deshalb darfst du sie nicht umbringen."

Emma ist im übrigen nichts passiert. Sie war vor dem Einbrecher geflüchtet und dann in Ohnmacht gefallen. Das Ehepaar Stumpf traut sich aber nicht mehr nach Hause zurück, zumal es weitere Plünderungen des Haderbräu-Kellers gibt.

Stumpf: "Zu der Zeit sind mehrere Zivilisten erschossen worden, kein Mensch hätte sich damals was gedacht, wenn man auch mich in der Nacht erschossen hätte." Erst als fünf amerikanische Soldaten im Wechsel Wache halten vor den Kellern der "Wolfra" beruhigt sich die Lage wieder.




Keine Kuh mehr auf der Weide

5000, 6000 ehemalige KZ-Häftlinge kampieren nach der Befreiung durch die Amerikaner in den Wäldern zwischen Eurasburg und Achmühle. Sie haben nichts - nichts zu essen, nichts zu trinken, nichts anzuziehen. Was sollen sie anderes tun, als sich das Lebensnotwendige bei den Einheimischen zu holen, als zu rauben und zu plündern?

Angst ist das vorherrschende Gefühl: Die einstigen Hälftlinge haben Angst vor der Bevölkerung, die Bürger wiederum vor den Häftlingen. Eurasburgs Bürgermeister Hans Fischhaber, damals neun Jahre alt, erinnert sich: Fast in jedem Haus waren die KZler. Sie haben sich das, was sie brauchten, organisiert. Plündern möchte ich es nicht nennen." Eier, Kartoffeln, Schnaps, ja ganze Rinder - alles wurde weggeschleppt oder an Ort und Stelle verzehrt. Am ärgsten dran waren die Einödhöfe außerhalb der Ortschaften, außerhalb des Schutzes der Polizei. Fischhaber: "Da stand keine Kuh mehr auf der Weide. Alles wurde weggesperrt."




Rechtsanwalt ermordet

Erst nach ein paar Tagen gelingt es den Amerikanern, das Chaos zu beseitigen oder einzudämmen. Die deutsche Hilfspolizei patrouilliert nachts, wenn die Zivilbevölkerung Ausgangssperre hat. "Vor der haben die Leute Respekt gehabt", erinnert sich Fischhaber. Trotzdem kommt es zu einem tödlichen Zwischenfall. Der In Zwitzenlehen lebende Rechtsanwalt Dr. Prechtl wird von Plünderern erschossen.
Share by: